Arschloch oder Die Malediktologie
22/08/22 10:02
Es ist kaum zu glauben wie viele Arschlöcher auf der Welt herumlaufen, wenn man den wiederholten hunderttausenden Anschuldigungen Glauben schenken will. Ausser in Italien und Spanien, aber davon später. Noch kaumer zu glauben ist, dass es tatsächlich Leute gibt, die sich wissenschaftlich mit Schimpfwörtern und dem Fluchen auseinandersetzen. Einer davon ist Daniel Gutzmann, Linguist und Dozent an der Universität Köln. Seine Wissenschaft der Malediktologie untersucht, wie Schimpfwörter funktionieren und weshalb im Deutschen so oft Fäkalwörter fallen wie in kaum einer anderen Sprache, zudem warum Fluchen gesund ist.
Schimpfwörter sind inzwischen so ubiquitär und auch inflationär, dass es nur logisch ist, dass sich Sprachwissenschaftler nun auch intensiv mit diesen und insbesondere mit Fäkalwörtern auseinandersetzen. Es scheint dies ein Zeichen der Zeit – und meiner Meinung nach eines der generellen Dekadenz – zu sein.
Meine erste unwissenschaftliche Begegnung mit Schimpfwörtern war «Scheisse» und zwar als Dreikäsehoch anlässlich der Vorführung des Films «Der Hauptmann von Köpenick». In diesem Märchen von Carl Zuckmayer aus dem Jahr 1931geht es um die verwegene Machenschaft eines Mannes namens Friedrich Wilhelm Voigt. Letzterer hatte sich im Jahr 1906 in einer fremden Militäruniform mit ein paar Kumpels der Stadtkasse von Köpenick bemächtigt. Der Bürger Voigt zog sich in einer öffentlichen Toilette um, ein Prozess der etwas länger dauerte, weshalb ein niedrigrangiger Militarist, der dringend diese Toilette aufsuchte, empört ausrief: «Herrgott, wer scheisst den hier so lange?». Als Voigt in seiner imposanten Militäruniform eines Hauptmanns aus der Toilette trat, verstummte der Drängler kleinlaut und Voigt zog mit seiner kleinen Truppe unbehelligt von dannen, um das erwähnte Lumpenstück durchzuziehen. Im Nachgang zu diesem Ereignis wird eine solcherart durchgeführte tolldreiste Gaunerei Köpenickiade genannt.
Irgendwie ist es schon komisch, dass schon damals das Verb «scheissen» sich tief in meinem Gedächtnis verankerte. Bedeutend weniger attraktiv für Kinder sind hingegen die abgeschwächten Alternativen wie «Mist» mit seinen jeweiligen Zusammensetzungen (zum Beispiel «Bocksmist») oder Euphemismen wie «Scheibe» und «Scheibenkleister».
Schimpfwörter sind inzwischen so ubiquitär und auch inflationär, dass es nur logisch ist, dass sich Sprachwissenschaftler nun auch intensiv mit diesen und insbesondere mit Fäkalwörtern auseinandersetzen. Es scheint dies ein Zeichen der Zeit – und meiner Meinung nach eines der generellen Dekadenz – zu sein.
Meine erste unwissenschaftliche Begegnung mit Schimpfwörtern war «Scheisse» und zwar als Dreikäsehoch anlässlich der Vorführung des Films «Der Hauptmann von Köpenick». In diesem Märchen von Carl Zuckmayer aus dem Jahr 1931geht es um die verwegene Machenschaft eines Mannes namens Friedrich Wilhelm Voigt. Letzterer hatte sich im Jahr 1906 in einer fremden Militäruniform mit ein paar Kumpels der Stadtkasse von Köpenick bemächtigt. Der Bürger Voigt zog sich in einer öffentlichen Toilette um, ein Prozess der etwas länger dauerte, weshalb ein niedrigrangiger Militarist, der dringend diese Toilette aufsuchte, empört ausrief: «Herrgott, wer scheisst den hier so lange?». Als Voigt in seiner imposanten Militäruniform eines Hauptmanns aus der Toilette trat, verstummte der Drängler kleinlaut und Voigt zog mit seiner kleinen Truppe unbehelligt von dannen, um das erwähnte Lumpenstück durchzuziehen. Im Nachgang zu diesem Ereignis wird eine solcherart durchgeführte tolldreiste Gaunerei Köpenickiade genannt.
Irgendwie ist es schon komisch, dass schon damals das Verb «scheissen» sich tief in meinem Gedächtnis verankerte. Bedeutend weniger attraktiv für Kinder sind hingegen die abgeschwächten Alternativen wie «Mist» mit seinen jeweiligen Zusammensetzungen (zum Beispiel «Bocksmist») oder Euphemismen wie «Scheibe» und «Scheibenkleister».
Meine erste wissenschaftliche Begegnung mit Schimpfwörtern war während des Studiums, als in der Psychiatrievorlesung vom «Gilles de la Tourette-Syndrom» (meist nur Tourette-Syndrom genannt) die Rede war. Das Syndrom wurde uns Studenten als «Tic nerveux mit Koprolalie» verkauft. Betroffene würden ohne erkennbaren Grund wiederholt anfangen mit den Armen zu zucken, zu blinzeln, zu grunzen und Schimpfwörter (meist aus dem analen Bereich – medizinisch Koprolalie) zu brüllen.
Damit ein Schimpfwort ein Schimpfwort ist, muss es gegen ein Tabu verstossen. Denn es gibt wenig, was bei Sprechenden und Zuhörenden emotional stärker wirkt als ein Tabubruch. Das erklärt, weshalb in verschiedenen Sprachen und Kulturen unterschiedlich geflucht wird. Die Vulgarität eines Wortes hängt also weniger von dessen konkreter Bedeutung ab, als vielmehr vom Schweregrad des gesellschaftlichen Tabus, das dessen Verwendung verletzt.
Eine der häufigsten deutschen Beleidigungen ist «Arschloch». Das Wort bestätigt die deutsche Neigung zum Fäkalen und ist laut Gutzmann so etwas wie die «Standardbeleidigung» unserer Sprache, generell auch die verschiedensten Kombination mit dem Wort «Arsch», wie zum Beispiel «Arschgeige», «Arschkriecher», «am Arsch vorbeigehen», «am Arsch sein», «am Arsch lecken», «verarschen» oder auch «arschkalt». Etwas seltsam mutet die schweizerdeutsche Wendung «am Arsch ist’s finster» an, die verwendet wird um die Wahrheit einer Aussage zu bestreiten.
Etwas schräg in der Sprachlandschaft zu stehen scheint auch der Ausdruck «Himmel, Arsch und Zwirn». Warum gerade die Worte "Himmel, Arsch und Zwirn" miteinander einen Fluch bilden, darüber gehen die Meinungen auseinander. Vielleicht weil alle drei die Eigenschaft "stark" verkörpern und somit zusammen einen besonders starken Fluch bilden. Es gibt aber auch eine ganz brave Erklärung. Danach stammt der ganze Ausdruck aus der Bauernsprache und hiess einst «Himmel, Arsch und Wolkenbruch», gemeint war damit ein Mistwetter. Um den Wolkenbruch zu vermeiden, wollten die Bauern den Himmel mit dem Zwirn zunähen.
Übrigens: Im Italienischen oder Spanischen ist «Arschloch» als Beleidigung schlicht inexistent. Hingegen sind in Gesellschaften mit ausgeprägt religiöser Tradition, wie etwa den südeuropäischen, Kraftausdrücke wie die italienischen «porca Madonna» oder «Dio cane» verbreitet.
Wie erklärt sich diese exkrementelle Vorliebe der deutschen Vulgärsprache? Vor allem ausländische Autoren ergehen sich in nationalpsychologischen Betrachtungen, wie sie unter anderen der amerikanische Ethnologe Alan Dundes anstellte. «Ich bezweifle, dass sich Kulturen finden lassen, die sich hinsichtlich der Analität mit der deutschen Kultur messen können», schreibt er in seinem 1985 auf Deutsch erschienenen Buch. Er unterfüttert seine Aussage mit Hinweisen auf den verbalen Berserker Luther und den in privaten Briefen skandalös fäkalvulgären Mozart.
In der Tat ist es jedoch so, dass man in früheren Zeiten, als man noch an übernatürliche Mächte glaubte, einen nackten Arsch zur Abwehr gegen das Böse benutzte. Alleine das Wort galt als stark. Schliesslich glaubte man, es auszusprechen würde genügen, um sich vor bösen Mächten zu schützen. Diese sprachliche Affektion zum Darmausgang steht in krassem Widerspruch zu dessen genereller Tabuisierung in der Gesellschaft in Bezug auf das Medizinische, sprich Erkrankungen.
Wo früher ein verruchtes «verdammt nochmal», «zum Teufel», «so ein Mist» oder ein «Du heiliger Strohsack» am Platz war, sucht man neuerdings in den meisten Fällen die billige Zuflucht zu «fuck», «shit» oder «Scheisse». Für mich unerklärlicherweise ist männiglich der Meinung «shit» töne irgendwie eleganter und sei deshalb gesellschaftsfähiger als «Scheisse». Na ja, vielleicht sind diese Leute des Englischen nicht so kundig.
Und für all die in früheren Zeiten etwas differenzierten Ausdrücke wie Armleuchter, Schafskopf, Trottel, Vollidiot oder Hornochse verwendet man heute das simple, vulgäre Wort Arschloch, eine Art Pauschaldisqualifikation. Wiederum ein Beweis für die grassierende Bequemlichkeit respektive Faulheit ein treffendes Wort zu suchen.
Noch was? Ach ja, da war doch noch dieser phantastische Buchtitel «Am Arsch vorbei führt auch ein Weg» oder der fabelhafte Titel des oben erwähnten Buches von Alan Dundes: «Sie mich auch!».
Damit ein Schimpfwort ein Schimpfwort ist, muss es gegen ein Tabu verstossen. Denn es gibt wenig, was bei Sprechenden und Zuhörenden emotional stärker wirkt als ein Tabubruch. Das erklärt, weshalb in verschiedenen Sprachen und Kulturen unterschiedlich geflucht wird. Die Vulgarität eines Wortes hängt also weniger von dessen konkreter Bedeutung ab, als vielmehr vom Schweregrad des gesellschaftlichen Tabus, das dessen Verwendung verletzt.
Eine der häufigsten deutschen Beleidigungen ist «Arschloch». Das Wort bestätigt die deutsche Neigung zum Fäkalen und ist laut Gutzmann so etwas wie die «Standardbeleidigung» unserer Sprache, generell auch die verschiedensten Kombination mit dem Wort «Arsch», wie zum Beispiel «Arschgeige», «Arschkriecher», «am Arsch vorbeigehen», «am Arsch sein», «am Arsch lecken», «verarschen» oder auch «arschkalt». Etwas seltsam mutet die schweizerdeutsche Wendung «am Arsch ist’s finster» an, die verwendet wird um die Wahrheit einer Aussage zu bestreiten.
Etwas schräg in der Sprachlandschaft zu stehen scheint auch der Ausdruck «Himmel, Arsch und Zwirn». Warum gerade die Worte "Himmel, Arsch und Zwirn" miteinander einen Fluch bilden, darüber gehen die Meinungen auseinander. Vielleicht weil alle drei die Eigenschaft "stark" verkörpern und somit zusammen einen besonders starken Fluch bilden. Es gibt aber auch eine ganz brave Erklärung. Danach stammt der ganze Ausdruck aus der Bauernsprache und hiess einst «Himmel, Arsch und Wolkenbruch», gemeint war damit ein Mistwetter. Um den Wolkenbruch zu vermeiden, wollten die Bauern den Himmel mit dem Zwirn zunähen.
Übrigens: Im Italienischen oder Spanischen ist «Arschloch» als Beleidigung schlicht inexistent. Hingegen sind in Gesellschaften mit ausgeprägt religiöser Tradition, wie etwa den südeuropäischen, Kraftausdrücke wie die italienischen «porca Madonna» oder «Dio cane» verbreitet.
Wie erklärt sich diese exkrementelle Vorliebe der deutschen Vulgärsprache? Vor allem ausländische Autoren ergehen sich in nationalpsychologischen Betrachtungen, wie sie unter anderen der amerikanische Ethnologe Alan Dundes anstellte. «Ich bezweifle, dass sich Kulturen finden lassen, die sich hinsichtlich der Analität mit der deutschen Kultur messen können», schreibt er in seinem 1985 auf Deutsch erschienenen Buch. Er unterfüttert seine Aussage mit Hinweisen auf den verbalen Berserker Luther und den in privaten Briefen skandalös fäkalvulgären Mozart.
In der Tat ist es jedoch so, dass man in früheren Zeiten, als man noch an übernatürliche Mächte glaubte, einen nackten Arsch zur Abwehr gegen das Böse benutzte. Alleine das Wort galt als stark. Schliesslich glaubte man, es auszusprechen würde genügen, um sich vor bösen Mächten zu schützen. Diese sprachliche Affektion zum Darmausgang steht in krassem Widerspruch zu dessen genereller Tabuisierung in der Gesellschaft in Bezug auf das Medizinische, sprich Erkrankungen.
Wo früher ein verruchtes «verdammt nochmal», «zum Teufel», «so ein Mist» oder ein «Du heiliger Strohsack» am Platz war, sucht man neuerdings in den meisten Fällen die billige Zuflucht zu «fuck», «shit» oder «Scheisse». Für mich unerklärlicherweise ist männiglich der Meinung «shit» töne irgendwie eleganter und sei deshalb gesellschaftsfähiger als «Scheisse». Na ja, vielleicht sind diese Leute des Englischen nicht so kundig.
Und für all die in früheren Zeiten etwas differenzierten Ausdrücke wie Armleuchter, Schafskopf, Trottel, Vollidiot oder Hornochse verwendet man heute das simple, vulgäre Wort Arschloch, eine Art Pauschaldisqualifikation. Wiederum ein Beweis für die grassierende Bequemlichkeit respektive Faulheit ein treffendes Wort zu suchen.
Noch was? Ach ja, da war doch noch dieser phantastische Buchtitel «Am Arsch vorbei führt auch ein Weg» oder der fabelhafte Titel des oben erwähnten Buches von Alan Dundes: «Sie mich auch!».