Nasenstüber

Kolumnen

Einkaufen

Einkaufen scheint im Moment unsere liebste Freizeitbeschäftigung zu sein. Aber warum eigentlich kommt einem beim Stichwort „Einkauf“ stets zuerst ein überbordender Einkaufswagen in den Sinn oder warum sieht man das Bild einer Dame mit mindestens je zwei Einkaufstaschen in jeder Hand vor sich? Sind wir alle schon so degeneriert, dass wir einkaufen automatisch mit einem Event in einem Supermarket oder gar in einer Einkaufs-Mall assoziieren sowie mit einem gigantischen Berg an Lebensmitteln oder sonstigem Zeugs? Kein Gedanke an einen Krämerladen oder eine Bäckerei in der Altstadt, eine Metzgerei in der Dorfmitte oder eine Gewürzhandlung in einem Aussenquartier. Aber man nennt uns ja nicht umsonst Konsumgesellschaft.
Schon bevor man den Laden betritt steht man vor der ersten Hürde: Soll ich lediglich einen Korb, einen Korb mit Rädern oder gar einen Einkaufswagen nehmen? Bei den meisten Internet-Versandläden heisst es auch „In den Einkaufswagen“ und nur selten „In den Einkaufskorb“, offenbar in der Annahme, dass ein Grosseinkauf stattfindet.
Wenn es eine Weltmeisterschaft im Einkaufen gäbe so könnte sich meine Frau problemlos bewerben. Nicht, dass sie mengenmässig überbordend oder gar unüberlegt, geschweige denn Unnötiges einkauft. Sowas täte sie nie! Nein, weil sie in antizipierender, Kräfte und Nerven schonender Weise den „Poschtizädel“ (zu Deutsch: Einkaufsliste) zu Hause in der Art schreibt, dass sie im Supermarkt einen Artikel nach dem anderen ohne lange zu suchen, sofort und direkt auffindet und in den Einkaufswagen legen kann, weil Sie ja genau weiss wo, respektive an welchem Platz und auf welcher Höhe sich die entsprechende Ware befindet. Gnad’ Gott dem Ladenverantwortlichen, dem Filialleiter oder der Ressortchefin sollte es ihm oder ihr einfallen das Angebot umzustellen, also die Konfitüre neu in die zweite Reihe zu stellen, die Ravioli aus der vierten in die sechste Einkaufsgasse umzusiedeln oder die Katzennahrung neu ganz hinten neben den Haushaltsartikeln einzuordnen.
Meine Frau ist eine kompetente Konsumentin. Zudem hat sie stets die richtige Treuekarte zur Hand und wir kaufen ja nicht nur in einem oder zehn Läden ein, nein, in Dutzenden. Kaum betrete ich jedoch mit meiner Frau ein Kleidergeschäft, so verfällt sie sofort in eine Art Kurschritt, nämlich ins Schlendern und es ist mir absolut unmöglich, mit welchen Tricks auch immer, sie zu einer rascheren Gangart zu bewegen. Alles wird genauestens besichtigt und evaluiert. Ich meinerseits bin beim Einkaufen in den Supermärkten vom GPS und einer punktgenauen Navigationssoftware abhängig. Trotzdem verirre ich mich immer wieder einmal in die Abteilung für Damenunterwäsche. Da stehe ich denn selbstverloren und beschämt und habe das Gefühl, dass irritierte und indignierte aber auch abschätzige, entrüstete, teils beschämte und vorwurfsvolle Blicke aller Damen, die sich gerade in diesem Rayon umsehen, auf mich gerichtet seien. Und weil das Einkaufen, wenn ich alleine einkaufen muss, einer wie erwähnt etwas ziellosen, unkoordinierten chaotischen Wanderung gleicht, so ist es nur logisch, dass ich der Meinung bin, man sollte eigentlich für solch ausgedehnte „Einkaufstouren“ mit Vorteil Wanderschuhe tragen. (Auch eine Zwischenverpflegung wäre nicht schlecht und vorsichtshalber Blasenpflaster.)
Brandgefährlich ist natürlich auch die Auslage direkt vor der Kasse, die sogenannte Quengelware (so genannt, weil Kinder immer beginnen zu quengeln, wenn sie das süsse Angebot entdecken), Während man also brav in der Schlange steht, hat man ja ausgiebig Zeit diese Angebote an Schleckwaren, Kaugummis und Zeitschriften zu begutachten. Diese Exhibition ist meiner Meinung eine absolute Frechheit, weil sie mich dazu verleitet, Zeugs zu kaufen, das ich gar nicht will. Aber die Manipulation der Kundschaft geht weit darüber hinaus. Alles Lebensnotwendige findet sich immer an der hintersten Wand, sodass man auf dem Weg dorthin an allen anderen Waren vorbeigehen muss. Auch der Boden eines Supermarktes neigt sich gegen die hinterste Wand, damit der Einkaufswagen automatisch in die hinterste Ecke des Geschäftes rollt. Wenn ich dann vor der Kasse in einer Schlange stehe, so mustere ich zuerst einmal die Kleidung der Mitwartenden, bevor ich mir ansehe was diese eingekauft haben. Letzteres liefert mir nämlich regelmässig Ideen für die nächsten Einkäufe. Ablenkung verschaffen zudem diejenigen Personen, die einem vor lauter Drängeln mit ihrem Einkaufswagen von hinten in die Fersen fahren. Wahrscheinlich sind es dieselben, die einem mit ihren Skiern am Skilift auf den eigenen Latten herumtrampeln.
Zu meinem Wohl wird ja immer öfter bargeldlos bezahlt. Denn zu meinem Leidwesen war das Münz der Kassiererin immer alle, wenn die Reihe an mir war. Seit Neuestem kauft man Ware sogar kontaktlos, das heisst ohne, dass ich meine Kreditkarte in ein Kästchen schieben und einen Code eingeben muss. Telepathisch sozusagen. Aber nach wie vor erhalte ich nach vollzogener Bezahlung – auch wenn der Betrag bloss 6 Franken 75 beträgt - einen ellenlangen, nicht enden wollenden Kassenzettel oder „Kassazettel“, wie es korrekt heisst, der mich in der Tat an eine halbe Klopapierrolle erinnert. Und mitnehmen muss ich ihn auch zwingend, man hört fast gerade ein unterschwelliges „Wo kämen wir denn hin, wenn wir alle diese überflüssigen Kassastreifen selber entsorgen müssten!“ Aber Hand aufs Herz: All die verschiedenen Läden und Supermärkte könnten der Umwelt schon etwas zuliebe tun, wenn sie diese unsäglich langen Kassazettel auf ein vernünftiges Mass reduzierten. Und auch diesbezüglich muss ich mich fast bei jedem Einkauf fragen: Warum ist die Papierrolle der Kasse stets zu Ende und muss umständlich ersetzt werden, wenn die Reihe an mir ist? Und wieso zum Teufel erhalte ich dann noch jeweils zusammen mit dem Kassenbeleg einen Bon für zwei Franken, einzulösen beim Kauf exakt genau der Ware, die ich soeben als Jumbo-Packung erstanden habe und die natürlich solange hinhalten wird, bis dieser Gutschein verfallen ist. Fehlte nur noch, dass mir die Kassierin mit einem Blick auf meine Einkäufe sagt: „Leute, die WC-Papier kauften, kauften auch Reisbesen“ oder „Leute, die Gurken kauften, kauften auch Auberginen“.
Eine ganz besondere Art von Einkauf findet in den „Do-it-yourself“-Zentren - in Deutschland Baumärkte genannt - statt. Baumärkte sind ja für Männer insbesondere bezogen auf das reichhaltige Sortiment das Paradies auf Erden. Aber wehe, man braucht einen Ratschlag, eine Empfehlung oder möchte ein Holzpaneel, einen Gummiteppich oder eine Kette auf Mass zugeschnitten haben, denn das Mysterium der nie verfügbaren, gewissermassen stets unsichtbaren Baumarktverkäufer scheint offensichtlich ein europaweites zu sein.
Völlig entgegen dem Andamento in allen anderen Läden oder Einkaufszentren geht es im Baumarkt selbst im Süden Frankreichs - wo ich seit der Pensionierung wohne und wo die Do-it-yourself-Läden „M. Bricolage“, „Briconautes“ oder „Brico-Marché“ heissen - eher hektisch zu. Die Hobbywerker, die zu jeder Tageszeit in Scharen in diese Etablissements strömen, halten ihre Zettel mit den gewünschten Holzmassen, den Schrauben- und Nägelabmessungen und gewünschter Farbpalette schon beim Eintritt gezückt und durchforsten die Regale, respektive pflügen sich im Laufschritt durch die Alleen mit all den für die „Bricolage“ nötigen Utensilien. Wenn sie dann mit all ihren Waren und Anschaffungen wieder draussen auf dem Parkplatz sind, können sie aber stundenlang mit einem Freund oder einem Bekannten, der auch in den Laden hechten will, über Gott und die Welt plaudern. Aber wahrscheinlich ist diese Aussage unfair, denn es wird wohl eher ein wichtiger Erfahrungsaustausch über Material und Methoden unter Hobbyhandwerkern sein als ein simples Geplauder.
Offenbar haben die Baumarktverkäufer Angst zu versagen, wenn man sie um die passende Dübelgrösse für eine Sechser-Schraube anfragt oder wenn sie die Vorteile einer Siliconabdichtung gegenüber der Gummivariante herunterbeten sollen. Wenn man dann zufällig einen Verkäufer mit einer mit der Aufschrift „Experte“ ans Revers gehefteten Brosche antrifft, so ist er weder für den Zuschnitt des ausgesuchten Holzpaneels noch für die Bereitstellung des gewünschten Drahtseiles zuständig und der angerufene zuständige Kollege – ebenfalls ein „Experte“ - lässt seinerseits wiederum Stunden auf sich warten. Keine ideale Situation für die meistens etwas gehetzt wirkenden Hobbyhandwerker.
Von den Frustkäufen will ich erst gar nicht beginnen zu schreiben.
Jawohl, Einkaufen ist purer Stress.
Doch Sie sollten mich mal sehen, wenn ich mich in einem Laden mit Elektronik befinde. Dann verfall ich sofort in eine Art Kurschritt, laufe ohne mit der Wimper zu zucken von der Abteilung mit Hifi-Anlagen zurück zum bereits ausgiebigstens konsultierten Computerzubehör, evaluiere stundenlang externe Harddisks und freue mich aufrichtig, dass vor der Kasse eine Auslage mit Batterien und Speicherkarten steht, die mich daran erinnert, dass ich noch welche kaufen wollte.