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Kolumnen

Kulinarische Correctness

Der Begriff ‚political correctness’ ist ja seit geraumer Zeit in aller Leute Mund. Mit einem Beitrag zu diesem Thema kann man auch in Zeiten von sauren Gurken problemlos Schlagzeilen machen. In Europa mit seiner vorauseilenden Unterwürfigkeit spricht man sogar von ‚political overcorectness’. Aber denken Sie jetzt bloss nicht, dies sei der tausenddreihundertfünfundfünfzigste Artikel zum Thema. Beileibe nicht.
Der Begriff ‚political correctness’ ist ja seit geraumer Zeit in aller Leute Mund. Mit einem Beitrag zu diesem Thema kann man auch in Zeiten von sauren Gurken problemlos Schlagzeilen machen. In Europa mit seiner vorauseilenden Unterwürfigkeit spricht man sogar von ‚political overcorectness’. Aber denken Sie jetzt bloss nicht, dies sei der tausenddreihundertfünfundfünfzigste Artikel zum Thema. Beileibe nicht. Was mich zu dieser Plauderei inspiriert hat, war eine Meldung in den Medien, wonach das Metropolitan Museum in New York ein Bild des Malers Balthus mit dem Titel ‚Thérèse rèvant’ abhängen und aus den Ausstellungsräumen entfernen musste. Der Grund: Die ‚political correctness’. Die wohl etwas anzügliche Darstellung eines pubertierenden Mädchens ist offenbar einigen bigotten Amerikanern sauer aufgestossen. Oder anders gesagt: Einige pseudoprüde Museumsbesucher stiessen sich an der zugegebenermassen etwas lasziven oder voyeuristischen Darstellung des Mädchens. Man hat Mühe diese Anordnung der Museumsdirektion unter dem Deckmantel der ‚political correctness’ zu verstehen. Aber in Zeiten der Generation ‚Schneeflocke’ werden in Zukunft solche unverständliche Massnahmen - weil kurios und eigentümlich oder gar dumm und einfältig, um nicht zu sagen arrogant, selbstbezogen und anmassend - an der Tagesordnung sein. Die Mitglieder dieser Generation finden unreflektiert alles ganz unerträglich und pochen auf ihr Recht, vor allem was sie unangenehm finden geschützt zu werden. Sie sind immer beleidigt und betroffen. Man kann ja tatsächlich vor lauter ‚political correctness’ das Leben verpassen.
Einmal mehr sind wir bei den sozialen Normen, auch Gesellschaftsnormen genannt, angelangt. Gesellschaftliche Normen regeln das Leben in einer Gemeinschaft. Sie legen fest was in einer sozialen Gruppe zu tun und was zu lassen, respektive was opportun oder obsolet ist. Sie werden also von der ‚gesellschaftlichen Vollversammlung’ festgelegt und richten sich nicht nach der Gesinnung, dem Befinden oder der Ideologie einiger weniger. Dass jedoch eine Minderheit fähig ist die sozialen Normen auf ihre Bedürfnisse zurechtzubiegen, respektive die Gesellschaft zwingen kann letztere zugunsten ihrer eigenen Anliegen anzupassen, hat sich im Lauf der Geschichte des öfteren wiederholt. Wir sind beim Thema „Tyrannei der Minderheiten“ angelangt. Nur weil sich ein paar Wichtigtuer und Bigotte unter dem Deckmantel subjektiver Betroffenheit pseudoempören oder mit etwas nicht einverstanden sind, muss doch nicht die ganze Gesellschaft kuschen und müssen die geltenden Gesellschaftsnormen über Bord geworfen werden. Und weil ein paar zensurwütige Memmen und Heulsusen unfähig sind, abweichende Meinungen seelisch zu ertragen, sehen sich Redaktionen gemüssigt, Warnungen aufzuschalten, wie: „Das folgende Video enthält Aufnahmen, die den Betrachter eventuell verstören können“. Die Empörung hat sich in den vergangenen Zeiten stark gewandelt. Sie richtet sich nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten gegen unzumutbare Lebens-bedingungen, sondern nur noch gegen Diskurse, die als unpassend empfunden werden. Die Empfindlichkeit hat zugenommen, das Spiessertum erscheint in neuer Gestalt. Die heutigen Spiesser empören sich über alles, was nicht in ihre Schemata passt. Am meisten empören sie sich gegen die Zumutungen des Denkens. Empörung läuft heute nicht mehr wie früher über die Stufen des Zweifels, der Nachfrage und der anschliessenden Rebellion. Jetzt steht die Empörung ganz am Anfang. Nur weil jemand beleidigt ist, heisst das nicht, dass er im Recht ist. Beleidigt sein ist keine Heldentat und wir sollten aufhören, beleidigte Leute zu feiern, als wären sie mutig oder selbstlos. Als ‚Zwangsjacke der Minoritäten’ wurde diese Verhalten einmal beschrieben. Aber auch dies möchte ich mit Ihnen jetzt nicht weiter ausdiskutieren.
Nein, ich möchte mit Ihnen im Folgenden gerne etwas ganz Anderes erörtern.
Vielleicht haben Sie den Film ‚City Slickers’ gesehen. Wie auch immer, in diesem Hollywoodprodukt geht es um Aktivferien auf einer Ranch im Wilden Westen der USA. Darin spielen unter anderem auch zwei Männer mit, bei denen es sich um Karikaturen von Ben und Jerry, den Bostonern einer weltweit bekannten gleichnamigen Glacé-Manufaktur in den USA, handelt. Das Spiel abends am Lagerfeuer - nachdem die ‚Dudes’ mehrere Hundert Rinder auf die Weide getrieben und beim ‚Branding’ mitgeholfen hatten - bestand darin, dass die beiden behaupteten, sie könnten zu jedweder von den Mitspielern geistig vorgestellten Hauptspeise eine aus-gewählte, absolut passende Speiseeiskombination ersinnen. Oft war das Unterfangen ein Leichtes, aber ab und an kamen Ben und Jerry arg ins Schwitzen um den ‚gusto’ der Mitspieler zu treffen, respektive um ihre Kreation als passend akzeptiert zu sehen.
Sehen Sie, es gibt eben auch noch die kulinarische oder gastronomische Korrektheit und von der spricht im Moment kaum jemand. Dabei geht es aber – wie das soeben erwähnte Beispiel klar zeigt - nicht um die sogenannten ‚Verzehrs-vorschriften’, die besagen wie, respektive in welcher Dosierung und zu welcher Tages- oder Mahlzeit eine Nahrung eingenommen werden soll, sondern um den stilvollen Rahmen eines kulinarischen Events. Welcher Wein zu welcher Speise serviert werden sollte, ist ja ein sattsam diskutiertes Thema und es füllt Bände. Zu den ‚gut bürgerlichen’ Gerichten und den klassischen Menus herrscht ja unter Gourmets und Weinkennern ziemliche Einigkeit. Aber wie sieht’s denn bei den neuesten Kreationen der ‚Nouvelle Cuisine’ aus wie etwa ‚Wilde Garnele an Lamm-Carpaccio mit Chorizo und Artischockencreme’ oder ‚Buttermilch-Salbei-Pannacotta mit Honig-Blaubeeren’ aus?
Noch schwieriger wird es, wenn man entscheiden soll, welche Musik zu welchem Menu passt. Bei Pizza oder Spaghetti ist es ja ein Leichtes eine CD mit einer Oper von Verdi oder ‚Pavarottis Best’ aufzulegen. (Spricht man eigentlich bei CDs auch von auflegen? Diese werden ja in der Regel in eine elektronisch gesteuerte Schublade eingelegt und nach deren Einfahren von einem Laserstrahl abgetastet. Aber wir kommen schon wieder vom Thema ab.) Zu einem ‚Tournedos Rossini’ würden gezwungenermassen dessen Ouvertüren gespielt. Zu Wild passt logischerweise ein Hornkonzert bestens und zu Fisch oder Hummer natürlich Schuberts ‚Forellen-Quintett’ oder auch Händels ‚Wassermusik’. Ein ‚Boeuf Stroganov’ würde vorzugsweise entweder von ‚Ein Leben für den Zaren’ des Komponisten Michael Glinka, einem Klavierkonzert von Rachmaninoff oder von Tschaikowskys ‚Nussknacker’ begleitet. Aber was würde denn zu einem ‚Coq au vin’, zu einem ‚gegrillten Carpaccio von der Maispoularde mit Wildkräutern und Brombeerchutney’, einem ‚Orangen-Linsen-Salat mit scharfen Roastbeef-Satés’ oder zu ‚knusprigen Feigen-Nuss-Röllchen mit Entenbrust und Ananassalsa’ geschweige denn ‚pochierten Austern mit Ingwerbutter und Katsuobushi’ passen? Ganz schwierig.
Trotzdem möchte Ihnen gerne die gastronomische Korrektheit ans Herz legen, denn die politische Korrektheit ist sozusagen alter Kaffee, oder andersrum: Die hat unsere Generation ja schon mit der Muttermilch aufgesogen. Wir nannten es damals Respekt, Moral und Anstand, kurzum: Vernünftiger, gesitteter Umgang.