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Kolumnen

Das Museum der Ideen

Anno 1930 gab es in Russland tatsächlich einen Museumskongress, dessen Beschlüsse eine marxistisch-leninistische Umgestaltung der Ausstellungen nach sich ziehen sollte. Der aus den Beschlüssen resultierende „Kampf gegen den Objektfetischis-mus“ führte in der Tat zu einem bemerkenswerten Resultat nämlich der Proklamation des Museums der Ideen, welches das Museum der Objekte ablösen sollte. Originale respektive Objekte wurden durch Repliken und Texte ersetzt. In Barcelona gibt es ein Museum der Ideen und Erfindungen, kurz miba genannt. Dieses wahrlich unterhaltsame Museum ist eine Realisation des Erfinders Pep Torres und verfolgt das Ziel, den Geist seiner Besucher für neue Ideen und Erfindungen zu öffnen. Die Sammlung folgt einem neuen Trend: sinnlose und absurde Erfindungen.
Ich möchte Ihnen aber ein ganz anderes Museum der Ideen vorstellen.
Für die Einrichtung von Museen gab es drei Gründe: Erstens die Etablierung der Demokratie, zweitens den Vandalismus und drittens die Möglichkeit einer - in der Regel chronologischen - Ausstellung. Die französische Revolution hatte dazu geführt, dass eine gigantische Zahl Kunst- und Kulturgüter, die ehemals im Besitz des Adels und des Königs waren, nun quasi über Nacht Allgemeingut wurden und verwaltet werden sollten. Aber der im Rahmen dieser Revolten ausgebrochene und zügellose Vandalismus riskierte diese Kunstschätze zu zerstören oder zu beschädigen, weshalb sie an einem sicheren Ort gehortet werden sollten und schliesslich wollten die Sachverwalter der neu akkumulierten Kunstgegenstände diese den Bürgern in einer wohlgeordneten Ausstellung präsentieren und zugänglich machen. So war die Installation von Museen ein Gebot der Stunde und verhalf den schönen Künsten zu einem ungeahnten Siegeszug. Gleichzeitig läutete sie die Demokratisierung der Kunst ein.
Obwohl bereits ein lateinisches Sprichwort besagt, dass sich über Geschmack und Schönheit nicht streiten lässt (de gustibus et coloribus non est disputandum), reden wir pausenlos über Kunstwerke - vor allem Bilder -, Theaterstücke, Literatur, Restaurants und Mahlzeiten und nicht über mathematische Theoreme, chemische Formeln, physikalische Gesetze oder astronomische Phänomene. Während der Antike waren alle Kunstwerke Imitationen. Plagiate waren die Regel, der Künstler-name völlig unbedeutend, meistens sogar unbekannt. In der Moderne sind nun Kunstwerke Einzelprodukte, Neuschöpfungen. Imitationen und Plagiat gelten als skandalös, Name des Künstlers erhält grosse Bedeutung, wird zunehmend wichtiger als dessen Kunstwerke. Ein Kunstwerk hat sich jedoch nie als „falsch“ (im Sinne von falscher Konzeption) entpuppt. Auch philosophische oder religiöse Denkmodelle kann man prinzipiell nicht als falsch apostrophieren, denn niemand diesbezüglich die absolute Wahrheit gepachtet (obwohl immer wieder mal das Gegenteil behauptet wird), währenddessen sich zahlreiche wissenschaftliche Ideen oder Konzepte sich - meistens im Nachhinein - als falsch herausstellen. So landen letztere denn früher oder später im Museum der Ideen, wo sich nur noch einige Wissenschaftler, die sich aus akademischen Gründen damit herumschlagen müssen, um sie kümmern respektive deren Konservierung, Archivierung und Überlieferung übernehmen.
Während die wissenschaftlichen Ideen so vor sich her schlummern, von Spinnweben umwoben werden und Staub ansetzen, passieren nachts im Museum der Ideen phantastische Dinge. Die veralteten oder falschen Ideen erwachen zu einem Eigenleben, beginnen sich zu verwandeln, zu entwickeln und zu korrigieren. Mitunter formatieren und formulieren sie sich neu zu erfolgsträchtigen Gedankengebäuden und Geistesblitzen. Die Korrektur überholter Ideen sowie die Weiterentwicklung führen zu möglicherweise wegweisenden und epochemachenden Eingebungen und Einfällen. Aber weil kein Mensch nachts ins Museum geht, realisiert das niemand.
Vielleicht sollte man mal den Museumswärter Larry – aus dem Film „Nachts im Museum - anstellen um diese neuen Ideen mit einer Art Ideenfänger oder Ideenfallen zu fangen, damit sie endlich das Licht der Welt erblicken und nicht wieder zerfallen, sprich sich nicht bloss als nächtlicher Spuck entpuppen, von dem bei Tagesanbruch dann niemand mehr etwas weiss. Wer weiss wie viel Wesentliches, bislang Ungedachtes, der Wissenschaft Dienliches, das technischen oder wie auch immer gearteten Fortschritt nach sich zöge, sich darunter finden mag. Und es wäre doch jammerschade, wenn diese potentiellen Trouvaillen nach ihrem nächtlichen Reigen allesamt wieder unbeachtet und ohne die entsprechende adäquate Aufmerksamkeit, ignoriert von der wissenschaftlichen Elite, in der Versenkung verschwänden.
Falls Sie eine bessere Idee haben, wäre ihr ein Platz im Museum der Ideen sicher.