Nasenstüber

Kolumnen

Als die Bilder lügen lernten

Ungeschminkt nahmen wir noch vor wenigen Jahren an, dass die Porträts, Landschafen oder Gebäude, welche die berühmtesten Maler aller Zeiten auf die Leinwand gebannt hatten, die Wirklichkeit absolut widerspiegeln würden. Grundsätzlich gehen wir doch bei älteren gemalten Bildern von der Echtheit der Darstellungen aus, von einer Treue der Details.In blinder Voreingenommenheit dachten wir, dass die Leute, welche Rubens, Velazquez, Giotto und wie sie alle heissen auf Leinwand gebannt hatten, tatsächlich so aussahen, wie sie von den Künstlern gemalt wurden Verunsichert durch die galoppierende Inflation der Lügen, Schwindel und Unwahrheiten, steigen in einem Zweifel an der vermeintlichen Realität auf diesen Bildern auf. Dass die Landschaften ja wegen der zunehmenden Zivilisation mit Überbauung, Ausbau der Infrastruktur und Verschandlungen nicht mehr so aussehen, wie sie die frühen Maler dargestellt hatten, ist sonnenklar.
Berechtigte Zweifel sind angebracht, ob nicht auch schon in früheren Jahrhunderten Kunstgegenstände geschönt wurden.
Die Porträts dürften wohl weitgehend der Realität entsprochen haben. Deswegen sind sie ja von den Persönlichkeiten in Auftrag gegeben worden. Die Hintergründe jedoch waren aber in vielen Fällen Fantasien, wie es am Beispiel der Mona Lisa ganz offensichtlich ist. Dagegen gab es auch schon in der Antike und im Mittelalter eine sogenannte Kunstfälschung. Nicht nur, dass einige den Meistern zugeschriebene und in der Regel auch von ihnen signierte Bilder oder Skulpturen von deren Schülern hergestellt, respektive gemalt worden waren, nein, in der römischen Antike wurden auch Skulpturen, die einen oder gar mehrere Makel aufwiesen, mit Wachs ausgebessert, sozusagen geglättet, damit das Kunstwerk „abgerundet“, also vollkommen, erschien. Nachdem diese Art der Kunstfälschung aufgeflogen war, beteuerten die wahren Künstler und Skulpteure, dass ihre Werke absolut authentisch und ungeschönt seien. „Ohne Wachs“ (lateinisch „sine cera“, woraus sich das französische „sincère“ ableitet) wurde zu einem der allerersten Gütesiegel und Qualitätsmerkmale in der Kunst.
Das Thema der Kunstfälschung ist wiederum aktuell, obwohl es wie erwähnt so alt ist wie die Kunst selbst. Die wirtschaftliche Blüte und Eroberungen waren die Wegbereiter oder Katalysatoren für die neue Mode, in grossem Umfang Kunst zu sammeln, da Kunstbesitz als ein Zeichen von Prestige betrachtet wurde. In der Renaissance entstand das künstlerische Selbstbewusstsein und dass Streben um Anerkennung als Urheber eines Werkes und seinem Schöpfer. In der Neuzeit änderte sich der Käuferkreis von Kunstwerken. Nicht mehr ausschliesslich versierte Sammler erstanden Kunstwerke, sondern vor allem anlagesuchende Käufer. Dies liess die Nachfrage nach Kunstwerken rapide und erheblich ansteigen und unseriöse Kunsthändler und Künstler waren schnell bereit diese grosse Nachfrage zu befriedigen. Da die Käuferschaft nicht mehr unbedingt eine Kennerschaft war, bereitete dies für Fälscher und Betrüger einen fruchtbaren Boden. Auch heute im 21. Jahrhundert hat sich die Zahl der auftretenden Fälschungen nicht vermindert. Im Jahr 2012 wurde der berühmte Fälscher Wolfgang Beltracchi wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt und im Sommer 2015 wurde über den Giacometti Fälscher Robert Driessen ebenfalls wegen Betrugs und Urkundenfälschung eine Strafe verhängt. Nach Schätzungen von Experten der Kriminalpolizei ist heute fast jeder zweite, am Kunstmarkt angebotene Gegenstand gefälscht. Obwohl diese Tatsache bekannt ist, tut dies der Beliebtheit von Kunst keinen Abbruch. Der Erwerb von Kunstgegenständen als Wertanlage, aber auch aus Liebe zu den schönen Künsten, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, obwohl es immer schwieriger wird, Fälschungen zu entlarven, da die Technik der Fälscher immer ausgereifter wird. Obwohl mittlerweile effiziente naturwissenschaftliche Methoden vorhanden sind, erschüttern immer neue und grössere Fälscherskandale die Kunstwelt.
Aber auch die echten Bilder sind gegen eine Manipulation, sprich Modifizierung nicht gefeit, so kann man auch in der Ölmalerei Korrekturen anbringen. Ölfarben eignen sich maltechnisch besonders gut, um eine Ölmalerei zu korrigieren. Nicht gelungene Bildabschnitte lassen sich einfach entfernen, übermalen oder überstreichen. Will man etwas Unschönes entfernen, so kann man während des Malens den langsam trocknenden Farbauftrag einfach mit einem Tuch, Papier, Spachtel oder Malermesser wegwischen. Mit einem in Terpentin befeuchteten Tuch lassen sich die Stellen gänzlich säubern und ein wenig entfetten. Die Kante eines Spachtels und eines Malermessers eignen sich ideal um Bildelemente präzise zu entfernen. Falls die Farbe bereits etwas angetrocknet ist, kann man mit der scharfen Kante des Malermessers oder des Spachtels abstossen oder schneiden. Trockene Ölfarbe lässt sich auch mit groben Schleifpapier abschleifen. Wie erwähnt, kann das Ölbild auch durch Übermalen korrigiert werden. Auf noch feuchter Ölfarbe kann man einfach weiter malen, während man sich beim Übermalen bereits trockener Ölfarbe an die Maltechnik „fett auf mager“ halten sollte und der Farbe mehr Harzfirnis hinzugeben. Man kann ein nicht gelungenes Ölbild vollkommen überstreichen und als Bildträger recyclen, wobei maltechnisch einzuwenden ist, dass die Farbschichten allzu dick werden könnten. Die nachträgliche Veränderung einer Oberfläche wird Retusche genannt (nach dem französischen Wort «retouche» für Nachbesserung, wörtlich: noch einmal berühren).
Mit der Fotographie und später dem Film gelangte die Darstellung der unverrückbaren Realität wieder in den Fokus und mit der Erfindung des Films hatten die Bilder laufen gelernt. Die ersten Aufnahmen konnten noch nicht lügen. Die Wirklichkeit, die wahre Begebenheit, die Tatsachen, die effektive Lage hatten sich ihren Platz zurückerobert. Aber wie bereits in der Malerei erlag der Mensch auch hier dem Versuch die Abbildung respektive den Film zu verschönern, zu verbessern und zu verfälschen. Die Palette an Werkzeugen und Techniken, deren man sich zu diesen Zwecken bedienen kann, überschreitet bald die Zahl der in einer klaren Nacht von Auge sichtbaren Sterne.
Retusche nennt man auch die nachträgliche Veränderung eines Fotos beziehungsweise einer Computergrafik. Verwendung findet dieser Begriff in der Fotographie, der Druckformherstellung, der digitalen Bildbearbeitung, der Optik, der Restauration und der Fertigung hochpräziser mechanischer Teile. Retuscheur wurde in der Fotographie und in der Reprotechnik auch der Begriff des Reproretuscheurs als Berufsbezeichnung verwendet. Beautyretouche hingegen ist kein Retuscheverfahren, sondern eine besondere Form der Fotomanipulation, die sich dafür zahlreicher Retuschetechniken bedient. Bereits während der Hochblüte der analogen Fotographie wurde auf Teufel komm raus retuschiert. Ein gewisser Franz Hanfstaengl gewann im Jahr 1855 auf der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille für die Vorführung retuschierter Fotografien, weshalb er als Erfinder der Negativretusche betrachtet wird. Negative kann man mechanisch oder chemisch verändern, im Sinne einer Abschwächung oder Verstärkung des Schwarz-Weiss-Negativs Eine mechanische Veränderung wurde entweder mit einem Bleistift, einem Wattebäuschchen oder Pinseln vorgenommen. Das Retuschierbesteck für die Schabretusche bestand aus drei Stahlmessern, die skalpell-, spatel- und lanzettförmig geformt waren. Die Negativretusche wurde am Retuschepult oder an einer von unten beleuchteten Milchglasscheibe durchgeführt. Indem man das metallische Silber chemisch aus der Schicht löste, erreichte man eine partielle oder komplette Deckungsverringerung des Negativs. Zur Verwendung kamen der Farmersche Abschwächer sowie Kaliumpermanganat-Abschwächer. Für eine Verstärkung wurde das Negativ ebenfalls partiell oder komplett mit einer Lösung behandelt, die eine Vermehrung der Bildsubstanz und damit bessere Kopierfähigkeit zur Folge hatte. Beim Kupfer-Verstärker erhielt das Negativ eine kupferrote Farbe. Der Verstärker wurde mit Wattebausch auf dem feuchten, gut gewässerten Negativ aufgetragen oder man tauchte das ganze Negativ in die Lösung. Auch eine Retusche des Schwarz-Weiss-Positivs war im Zeitalter der Analogfotographie möglich, wiederum mechanisch oder chemisch. Eine Schabretusche zur Reduzierung von Schwärzen ist nur bei Barytpapieren mit matter oder halbmatter Oberfläche möglich, auf glänzenden Oberflächen wäre die Retusche sichtbar. Gearbeitet wurde mit dem Retuschebesteck wie bei den Negativen. Aber weil die Emulsion bei Papieren wesentlich dünner ist als bei Filmen, liessen sich auf diese Weise nur kleine Korrekturen vornehmen. Beim Ausflecken von hellen Störungen kamen Marderhaarpinsel und Keilitzfarben oder Reinschwarz, Rotbraun, Braunschwarz und Blauschwarz zum Einsatz. So liess sich der Kontrasteindruck verbessern. Ein Baden des Schwarz-Weiss-Fotos in Kupferverstärker veränderte den Bildton Richtung Rötelton, ein Bad in einem Aufguss aus starkem schwarzen Tee ergab ein rehbraunes Bild.
Eine Neuigkeit war hier die Spritzretusche. Für grossflächige Korrekturen oder Bildverbesserungen wurden Luftpinsel (kleine Spritzpistolen) - heute bekannt als "Airbrush" - eingesetzt und mit dünnflüssigen schwarzen, weissen oder bunten Lasurfarben oder Deckweiss Flächen, Verläufe und Hintergründe angelegt. Der Farbauftrag war durch die Zerstäubung so fein, dass er sich von der Oberfläche des Fotos kaum unterschied. Bildelemente konnten dabei mit Schablonen aus individuell zugeschnittenen, abdeckenden Zelluloidfolien ausgespart werden. Anwendung fand die Spritzretusche in der Repro und Werbefotografie. Positivretuscheur (heute Mediengestalter) war ein Ausbildungsberuf in der grafischen Druckformenherstellung. Mit den Mitteln der analogen Retusche beseitigte er Fehler oder unerwünschte Bildteile, verstärkte Kontraste oder glättete zu stark gekörnte fotografische Vorlagen, bevor er sie zur Aufnahme an den Reproduktionsfotografen weiterreichte.
Irgendwann fing dann die Lüge mit der blauen Wand an. Bei der Bluescreen-Technik wird in der Filmproduktion das Studio mit einem blauen Hintergrund ausgestattet, vor welchem die Szenen gedreht werden. Dieser Hintergrund kann im Nachhinein durch ein passendes Bild ersetzt werden, sodass der Betrachter meint, die im Film dargestellte Aktion hätte tatsächlich vor dieser oder jener Kulisse stattgefunden. Das Verfahren nennt sich „chroma keying“ (auch color keying). Keying ist ein Fachbegriff aus der Videobearbeitung und beschreibt das Freistellen von Bildelementen vom Hintergrund (meist auf Basis einer Schlüsselfarbe z.B. Blau oder Grün). Keying ist eine wichtige Technik der visuellen Effekte, um Bild-Kompositionen zu erzeugen. Es handelt sich dabei also um eine Postproduktionstechnik. Im Rahmen der Komposition wird diese Technik verwendet, um Hintergründe in Fotos oder Videos auszutauschen.
So einfach ist es geworden Traum- oder Wunschbilder zu erstellen. Unwahrheit, Schwindel und Fälschung sind zum Tagesgeschäft geworden und offenbar bedeutend attraktiver als die Realität.
Den Big-Bang der photographischen Lügen könnte man die Lancierung von Photoshop nennen. Das Computerprogramm von Adobe gilt als Pionier der Bildbearbeitungssoftware. Mit den Retuschewerkzeugen in Photoshop kann man mit einem Mausklick unerwünschte Objekte entfernen, Objekte durch Kopieren hinzufügen und Mängel respektive Unschönheiten in Bildern korrigieren. Für eine Retusche der digitalen Bilder gibt es mittlerweile eine gigantische Zahl an Filtern, Weichzeichnern, Möglichkeiten des Farbmanagements, Bildoptimierung und -transformation, Effekte, Schärfeveränderung sowie Tausende andere Eingriffe an einem Bild. Durch Retusche können die Bildaussagen von Fotos manipuliert werden. Dabei kann es sich um die Fertigung faltenfreier Gesichter oder das Entfernen unerwünschter Personen handeln. Die Bilder haben definitiv zu lügen gelernt.
In jedem Fall werden die Grenzen zur Realität immer mehr verwischt, zum anderen können diese Methoden zum Nutzen oder zum Schaden anderer Menschen eingesetzt werden. Eine spezielle Form ist die Beautyretusche, die sich heute dank Instagramm ganz besonderer Beliebtheit erfreut.
Neuerdings wird sogar die künstliche Intelligenz (KI) zur Verbesserung, nein sogar zur Perfektion, von Fotographien eingesetzt. Kürzlich wurde bekannt, dass ein Schweizer Informatiker eine KI-Software anbietet, welche aus Selfies professionelle Bewerbungsbilder erstellt.

Man kann, ja man darf seinen Augen nicht mehr trauen, seit Ende des letzten Jahrhunderts die Bildbearbeitungsprogramme ihren Siegeszug angetreten haben. Kein noch so unscheinbares privates Porträt, das heute nicht mit einem - meistens sogar mehreren - Filtern aufgepeppt wird. Und bei den „Role Models“, die uns täglich auf den einschlägigen Onlineportalen begegnen und das Bild des perfekten Körpers inszenieren, ist es nahezu unmöglich festzustellen, was real und was nachbearbeitet und damit „fake“ ist. Die Italienerin Cristina Fogazzi bloggt als «zynische Kosmetikerin» gegen Schönheitswahn und weiblichen Perfektionsdrang. Von ihr stammt der Ausspruch: «Photoshop ist das einzige Wundermittel gegen Cellulitis»
Dank der phantastischen Beautyretusche haben neuerdings Lügen nicht mehr kurze, sondern schöne Beine.