Nasenstüber

Kolumnen

Geographieunterricht

Globi

Den ersten Geographieunterricht – zu einer Zeit als ich noch überhaupt keine Ahnung hatte was Geographie (Erdkunde) eigentlich bedeutet - erhielt ich von Globi. Mit dieser drolligen, sympathischen Figur lernte ich anhand des Buches „Globi und Pinocchio in Venedig“ ein wenig Oberitalien und vor allem Venedig kennen. Der Gardasee, die Ortschaft Desenzano – die wie ich Dank Globi wusste am Südufer des schönen Gardasees liegt - und natürlich Venedig waren mir schon vor der Lektüre des Buches ein Begriff, denn ich war mit meinen Eltern schon mal nach Lignano an der nördlichen Adria in die Badeferien gefahren. Für mich zählten jedoch vor allem Boggia, Gelati, Sandburgen bauen und Plantschen. Gegen Mittag fuhr der Badezug, wie er so verheissungsvoll hiess, in Milano ein. Während des knapp einstündigen Aufenthaltes entbrannte eine Diskussion darüber, ob es im Zugsabteil heisser sei, wenn das Fenster geschlossen bliebe oder ob bei offenem Fenster noch eine grössere Hitze ins Abteil ströme. Es ergab sich eine Pattsituation.

Das Fenster blieb geschlossen. Vom fahrbaren Kiosk auf dem Perron kauften meine Eltern für jedes Familienmitglied einen kleinen Panettone und ein Mineralwasser. Auf der Weiterfahrt hielt der Zug unter anderem auch in Desenzano. Aus irgendeinem Grunde ist mir dieser Name im Gedächtnis geblieben. In Mestre, von wo aus es – gemäss Vater – schnurstracks über einen Damm nach Venedig geht, wurde der Zug neu komponiert, bevor er Richtung Triest an unseren Badeort weiterfuhr. Aber immer der Reihe nach.
Der erste Band der mit der erfolgreichen Schweizer Kinderbuch-Figur erschien 1935 und trug den Titel „Globis Weltreise“ und 1946 kam „Globi erlebt Paris“ heraus, aber da war ich noch gar nicht auf der Welt. Mein erwähntes Geographiebuch „Globi und Pinocchio in Venedig“ erschien 1957, da war ich dann acht Jahre alt. Venedig zog mich sofort in den Bann. Was es da nicht alles zu bestaunen gab. Was Globi alles unternehmen und zum Teil auf den Kopf stellen konnte und natürlich die vielen Kanäle, das war schon etwas ganz Spezielles, Attraktives. Nachdem zwei Diebe Globi an den Gestaden des Gardasees das Reisegepäck geklaut hatten, pfiff sein zwischenzeitlicher Freund Pinocchio eine Taube herbei, welche die beiden auf ihren Schwingen nach Venedig flog. Nachdem Sie Venedig ausgiebig aus der Vogelschau betrachtet hatten, landeten sie auf der Piazzetta, dem Platz vor dem berühmten Dogenpalast. Nebst diesem prächtigen Gebäude werden auch die anderen Sehenswürdigkeiten der Lagunenstadt vorgestellt wie der Markusdom, die traditionellen Gondolas, die so schwierig zu steuern sind, die Glasbläser der berühmten Manufaktur von Murano, sowie die Rialto- und die Seufzerbrücke. Wie es sich für die Figur gehört, hat Globi auch in der Lagunenstadt allerlei Schabernack angestellt. So lässt er zum einen mit einem Schwarm Tauben auf den Campanile hieven (um die Kosten für den Lift zu sparen), zum andern lässt er die Figuren auf dem Orologio, dem historischen Uhrenturm um acht Uhr einen zusätzlichen Glockenschlag ausführen (um die Einwohner Venedigs punkto Uhrzeit zu verunsichern) und hat zum dritten in einer Nacht- und Nebelaktion den hängenden Schwanz des Flügellöwen – des Wappentiers von Venedig – nach oben gekrümmt.
Als wir im darauffolgenden Jahr nach den Badeferien am selben Ort, noch zwei Tage in Venedig verbrachten, fand ich mich in der Stadt auf Anhieb zurecht. Gestaunt habe ich trotzdem, dass die Rialtobrücke, der Campanile, der Löwe auf seiner hohen Stele, der Dogenpalast und Uhrenturm tatsächlich genauso aussahen wie im Globibuch dargestellt. Ich kannte alle diese Sehenswürdigkeiten ja auswendig. Aber irgendwie wirkte die Stadt etwas öde und trotz vieler Touristen etwas leblos ohne die Animation von Globi und dessen Streiche.
Jetzt in höherem Alter nehme ich wieder Geographieunterricht. Diesmal ab er nun bei Kommissaren verschiedenster Kriminalromane.
Bleiben wir zunächst noch ein bisschen in Venedig. Ob wohl ich Venedig wie erwähnt auf Grund der mehrfachen Lektüre des entsprechenden Globibuches und touristischer Besuche gut zu kennen glaubte, lernte ich anhand der Krimiserie von Donna Leon um Kommissar Guido Brunetti, zahlreiche mir bislang unbekannte Winkel der Lagunenstadt kennen und auch die Marotten der Venezianer.
Ansonsten ist Italien aber weitgehend Brachland. Obwohl ich die Kriminalromane von Andrea Camilleri mit Commissario Montalbano, einem liebenswürdigen, etwas exzentrischen Sizilianer, heiss liebe und diese Insel gerne einmal bereisen möchte, so muss ich doch gestehen, dass diese Bücher einen in Bezug auf die Geographie von Sizilien total im Stich lassen, denn erstens bewegt sich Montalbano fast nur zwischen seinem Wohnort und der Questura und zweitens spielen seine Geschichten in einem sizilianischen Städtchen, das es gar nicht gibt.
Die Region des bekannten Perigords, im Südwesten Frankreichs, habe ich geographisch mit Hilfe der Kriminalromane mit dem Protagnonisten ‚Bruno Chef de Police’ des englischen Autors Martin Walker kennengelernt.
Eine überaus sympathische Figur hat der griechische Schriftsteller Peros Markaris mit seinem Kommissar Kostas Charitos geschaffen. Charitos ermittelt in Athen und Umgebung. Allerdings werden weder die Akropolis noch Piräus erwähnt, wohl, weil der Autor annimmt, dass sie dem Leser bestens bekannt sind. Aber ansonsten sind seine Kriminialromane perfekte Athener Stadtführer.
Die Romane mit der Hauptfigur Henrik Falkner von Luis Sollano spielen in Lissabon. Der ehemalige Ermittler hat sich unter der Sonne Portugals ein neues Leben aufgebaut und betreibt der Altstadt Lissabons ein Antiquariat, in dem sein Onkel exotische Exponate angesammelt hat, von denen so manche auf vergangene Verbrechen hinweisen. Anhand der Ermittlungen von Falkner lernte ich die attraktive Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten kennen.
Wien kannte ich auch von einer Städtereise. Die österreichische Hauptstadt hat mir besonders gut gefallen. Die kulturträchtige Stadt hatte mich stark beeindruckt und ich dachte oft daran, nochmals dorthin zu reisen. Die Lektüre einiger Wien-Krimis von Beate Maxian, voller Wiener Charme und den unzähligen attraktiven Sehenswürdigkeiten, haben dieses Reiseziel wieder auf die oberen Plätze der „Hitliste“ gehoben.
Die Beschreibungen der wilden Küste und der historischen Orte in Luc Bannalecs Krimis mit Commissaire Dupin waren der Anlass für eine unvergessliche, wunderschöne Reise durch die Bretagne. Dupin wohnt im mittelalterlichen Städtchen Concarneau, bereist jedoch zu Ermittlungszwecken die ganze Bretagne, womit ein Reiseführer entfällt.
Die Provence ist auch unter Krimiautoren ein absoluter Renner. Man kann die berühmte Region Südfrankreichs mit mehreren Figuren der Staatsgewalt kennenlernen, so zum Beispiel mit Madame le Commissaire von Pierre Martin, Pierre Durand von Sophie Bonnet, Commissaire Leclerc des Autors Pierre Lagarde sowie Capitaine Roger Blanc von Kay Rademacher. Neben der Camargue haben es mir insbesondere auch die in der Nähe von Marseille gelegenen wildromantischen “Calanques” angetan. Trotzdem bin ich unschlüssig, ob die Provence tatsächlich ein lohnenswertes Reiseziel ist, denn immerhin geschehen dort zahlreiche Morde.
Für mich wäre es höchste Zeit, dass endlich Krimis geschrieben werden, deren Handlung im Emmental und im Appenzellerland spielt.
Auch Globi wäre als Geographielehrer nach wie vor aktuell, denn heute können Kinder mit Globi China, den Nationalpark, Rom, den Nordpol und noch vieles mehr kennenlernen. Daneben erschienen auch Bände wie ‚Globi bei der Polizei’, ‚Globi bei der Feuerwehr’ oder ‚Globi bei der Post’.
Wenn es in meiner Kindheit den Band „Kochen mit Globi“ schon gegeben hätte, müsste ich heut nicht Raviolidosen öffnen, Salat mit Fertigsalatsaucen essen und von Hotdogs leben.