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Kolumnen

Fussnotenprosa

Es gibt Leute, die jede Fussnote lesen und solche– wie ich zum Beispiel -, die Fussnoten geflissentlich überlesen. Erstere können nicht umhin, sich jede erdenkliche Information, insbesondere wenn sie denn noch im Kontext einer Lektüre steht, einzuverleiben. Man verpasst ja sonst schon viel. Letztere lassen sich ungern stören und sie empfinden Fussnoten als Ablenkungsmanöver und Störfaktoren ihrer Lektüre.
Nun, Sie haben ein unverschämtes Glück, denn Sie können – wenn Sie denn zu den Fussnotenlesern gehören - hier ein besonders eindrückliches Exempel von Fussnotenprosa (1) lesen.
1 Der Begriff Fussnotenprosa ist aus einer im Journalistenportal ‚jounal21’ im Internet publizierten Rezension des Buches von Jonathan Franzen „Das Kraus-Projekt“ entlehnt. Der Verfasser dieses Artikels bezeichnet damit Seiten eines Buches, die mehr Fussnoten als Originaltext enthalten.
Bei Fussnoten handelt es sich um ergänzende Notizen oder Anmerkungen mit Quellenangaben von den im Fliesstext erwähnten Sachverhalten, Aussprüchen oder Äusserungen anderer Autoren. Fussnoten sind faktische Erklärungen. Sie werden gesetzt um einen Begriff, ein Zitat, einen Umstand, einen Namen oder ein Fremdwort zu erklären. In der Regel werden sie aus dem Haupttext, auch Fliess- oder Lauftext genannt, ausgelagert um ein leichtes und fliessendes Lesen zu ermöglichen. Mitunter geben sie auch Hinweise auf weiterführende Literatur. Auch Querverweise innnerhalb eines Textes respektive Buches werden in Fussnoten festgehalten. Weiterreichende Gedanken des Autors und mehr oder weniger ausführliche Beschreibungen von kontextuellen Reflexionen können ebenfalls als Fussnoten angefügt werden. Die Fussnoten selbst werden in der Regel unterhalb einer druckgraphischen Linie, der sogenannten Fusssnotenlinie, optisch vom Haupttext abgetrennt. Klassischerweise werden die Fussnoten einer Druckseite am unteren Rand - daher ihr Name - dieser Seite angefügt und in der Regel finden sich alle Fussnoten einer Buchseite auf der gleichen Seite zuunterst.
Der Österreichische Satiriker Karl Kraus - so geht aus der eingangs erwähnten Rezension hervor - fügte offenbar seinem Lauftext eine solch grosse Anzahl Fussnoten hinzu oder dieselbigen sind so ausführlich, dass sie den Haupttext geradezu in den Hintergrund verdrängen. Eine solche Häufung von Fussnoten oder eben deren ellenlangen Texte führe dazu, meint der Rezensent, dass der Leser am Schluss sich mehr mit dieser Fussnotenprosa auseinandersetze als mit dem Originaltext, dass ihm die sekundären Textpassagen wichtiger vorkommen als der Haupttext. Oft finde der Leser vor lauter Fussnoten oder deren übertriebenen Länge den Einstieg in den Fliesstext überhaupt nicht mehr.
Eigentlich handelt es sich bei Fussnoten um eine weitere Zerstreuung in unserer ach schon so arg von pausenlos eintretenden, unterschiedlichsten Zäsuren gebeutelten Welt. Aber die unersättliche Gier nach vollumfänglicher immanenter Informiertheit öffnet Fussnoten Tür und Tor. Gratiszeitungen und Onlinekurznachrichtendienste (hier verkneife ich mir zu Ihren Gunsten das Hinzufügen einer weiteren Fussnote) haben den grossen Vorteil, dass sie Mitteilungen in bereits so kleinen Häppchen servieren, dass eine Erschlaffung des Konzentrationsvermögens oder ein Abdriften in gedankliche Spaziergänge erst gar nicht eintreten kann. Persönlich bin ich der Meinung, man sollte Fussnoten definitiv verbieten. Sie stören nur, brechen den Lesefluss und interferieren mit der Konzentration auf den Haupttext. Möglicherweise sind wir uns hier uneinig, weil viele es mittlerweile gewohnt sind, sofort via Google oder einer sonst unmittelbar zur Verfügung stehenden Informationsquelle, ein akutes Wissensdefizit stante pede auszumerzen. Sie könnten es nicht verkraften, wenn man ihnen Fussnoten vorenthielte oder wenn sie diese Verweise irgendwo mühsam zusammensuchen müssten. Es käme also am ehesten einem Zeitfaktor gleich, nämlich einem Defizit.

Irgendwie kommen Fussnoten auch einer Art Bevormundung gleich. Wie entscheidet denn ein Autor welche Wörter, Zitate oder Textpassagen seines Werkes einer weiteren Erklärung bedürfen? Die rigorose Streichung aller Fusssnoten würde dieses Dilemma auf elegante Art lösen, denn Fussnoten sind in der Tat etwas Lästiges.
Sie verleiten einen dazu, die verborgenen Informationen ohne Aufschub abzurufen. Vielleicht provoziert die unmittelbare Konsultation von Fussnoten die Ausschüttung von Glückshormonen, wie der Eingang von Kurznachrichten.
Sie gehen doch hoffentlich mit mir einig, dass dieser Exkurs eine separate Fussnote wert war.