Schreiben oder Warum Platon die Schrift verteufelte
15/03/23 11:58
Zum Thema Schreiben kommt mir als Erstes eigenartigerweise das Adjektiv gonzo in den Sinn. Erst in zweiter und dritter Linie sehe ich Jean Paul Sartre mit einer Zigarette lässig im Mund, in einem Pariser Bistro, einen Text in sein Notizbuch schreiben oder Ernest Hemingway konzentriert vor seiner Schreibmaschine sitzen.
Zum Begriff Gonzo: Bei der Lektüre eines Artikels über den Journalisten Hunter S. Thompson, hatte der Begriff Gonzo-Journalismus mein Interesse geweckt. Thompson hatte diese Art von Journalismus eigentlich eher durch Zufall kreiert, indem wegen eines Terminproblems, ein ganz und gar unausgereiftes Manuskript von ihm publiziert werden musste, worauf der zuständiger Redaktor diese Art von Text eben als Gonzo-Journalismus bezeichnete. Das Charakteristische daran ist, dass der Gonzo-Journalist sein eigenes Erleben in den Vordergrund stellt. Er schreibt radikal subjektiv, mit starken Emotionen und absichtlichen Übertreibungen. Die Grenze zwischen realen und fiktiven Erlebnissen verschwimmt dabei grösstenteils. Als Stilelemente werden Sarkasmus, Schimpfwörter, Polemik, Humor und Zitate verwendet. Wenn ich all dies etwas überdenke, so komme ich zur Feststellung, dass meine Texte auch von Gonzo angehaucht sind. Nach strengen journalistischen Kriterien handelt es sich beim Gonzo-Journalismus gar nicht um Journalismus sondern um Literatur. Das ist aus meiner Sicht ja geradezu perfekt. Das Adjektiv gonzo steht nun also seit damals als englischer Slang-Ausdruck für „aussergewöhnlich“, „exzentrisch“ beziehungsweise „verrückt». In Bezug auf den Journalismus kann man es etwa mit „deutlich von den Gefühlen des Verfassers geprägt“ und „angefüllt mit bizarren oder subjektiven Vorstellungen, Kommentaren und dergleichen“ übersetzen. Angefeuert von seinem Verleger wurde Thompson durch sein weiteres Schaffen zum bedeutendsten Vertreter des Gonzo-Journalismus. Er definierte den Gonzo-Stil für sich selbst als einen „professionellen Amoklauf“. Der Journalist möchte über ein bestimmtes Ereignis schreiben, das im Extremfall - sollte es gar nicht eintreten - auch selbst arrangiert werden kann. Durch die Technik der Neuen Medien, zum Beispiel in Blogs, erlebt der Gonzo-Journalismus seit den 2000er Jahren eine wahrhafte Renaissance.
Zum Begriff Gonzo: Bei der Lektüre eines Artikels über den Journalisten Hunter S. Thompson, hatte der Begriff Gonzo-Journalismus mein Interesse geweckt. Thompson hatte diese Art von Journalismus eigentlich eher durch Zufall kreiert, indem wegen eines Terminproblems, ein ganz und gar unausgereiftes Manuskript von ihm publiziert werden musste, worauf der zuständiger Redaktor diese Art von Text eben als Gonzo-Journalismus bezeichnete. Das Charakteristische daran ist, dass der Gonzo-Journalist sein eigenes Erleben in den Vordergrund stellt. Er schreibt radikal subjektiv, mit starken Emotionen und absichtlichen Übertreibungen. Die Grenze zwischen realen und fiktiven Erlebnissen verschwimmt dabei grösstenteils. Als Stilelemente werden Sarkasmus, Schimpfwörter, Polemik, Humor und Zitate verwendet. Wenn ich all dies etwas überdenke, so komme ich zur Feststellung, dass meine Texte auch von Gonzo angehaucht sind. Nach strengen journalistischen Kriterien handelt es sich beim Gonzo-Journalismus gar nicht um Journalismus sondern um Literatur. Das ist aus meiner Sicht ja geradezu perfekt. Das Adjektiv gonzo steht nun also seit damals als englischer Slang-Ausdruck für „aussergewöhnlich“, „exzentrisch“ beziehungsweise „verrückt». In Bezug auf den Journalismus kann man es etwa mit „deutlich von den Gefühlen des Verfassers geprägt“ und „angefüllt mit bizarren oder subjektiven Vorstellungen, Kommentaren und dergleichen“ übersetzen. Angefeuert von seinem Verleger wurde Thompson durch sein weiteres Schaffen zum bedeutendsten Vertreter des Gonzo-Journalismus. Er definierte den Gonzo-Stil für sich selbst als einen „professionellen Amoklauf“. Der Journalist möchte über ein bestimmtes Ereignis schreiben, das im Extremfall - sollte es gar nicht eintreten - auch selbst arrangiert werden kann. Durch die Technik der Neuen Medien, zum Beispiel in Blogs, erlebt der Gonzo-Journalismus seit den 2000er Jahren eine wahrhafte Renaissance.
Wenn wir schon bei neuen Techniken sind, so darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass die künstliche Intelligenz (AI) auf dem besten Wege ist selber Bücher zu schreiben. Einen Vorgeschmack haben wir unlängst bekommen, als bekannt wurde dass ein junger Informatiker namens Ammaar Reshi mithilfe der künstlichen Intelligenz ein Kinderbuch schrieb. Nach der Publikation seines Buches bei Amazon wurden dem IT-Mann Text und Bilder-Klau vorgeworfen. Er geriet also nicht ins Visier weil er die künstliche Intelligenz so munter nutzte, sondern weil sich die künstliche Intelligenz ihre Fähigkeiten nur dank Werken realer Menschen antrainieren habe können, darunter mutmasslich auch urheberrechtlich geschützte - also gestohlene - Texte und Bilder.
Als Schüler habe ich nicht gerne geschrieben. Wenn «Aufsatz schreiben» auf dem Stundenplan stand, so verursachte mir das regelmässig ein Magengrimmen. Heute freuen sich die Schüler geradezu auf diese Lektion, denn mit dem Text-Roboter ChatGPT ist es völlig problemlos einen Aufsatz zu schreiben, den diese Software verblüfft mit blumiger Sprache und geschliffenen Dialogen. Damit hat sie einen Hype um das Thema künstliche Intelligenz ausgelöst. Der Text-Roboter kann mit einer hohen Sprachpräzision Reden ausarbeiten und Geschichten erzählen – und das auch noch in Sekundenschnelle. Das mit gewaltigen Datenmengen gefütterte Programm sorgt für viel Aufsehen, aber auch für Skepsis. Wissenschaftler warnen vor Datenschutzlöchern und anderen Risiken. Ein tieferes Problem bei den GPT3-Modellen besteht darin, dass es nicht möglich ist, nachzuvollziehen, welche Quellen wann und wie in die jeweilige Aussagen eingegangen sind. Und nicht nur dies: Diese Sprachsoftware lügt oft betreffend ihrer Quelle oder erfindet einfach eine Quelle. Man könnte auch von FI (Fake Intelligence) sprechen. So wurde zum Beispiel unlängst publik, dass ChatGPT fälschlicherweise einen Vorwurf sexueller Belästigung gegen einen amerikanischen Professor erhoben hat. Nach ChatGPT soll diese Belästigung auf einer Reise geschehen sein, welche dieser Professor nie unternommen hat und während der Zeit an einer Fakultät, an der er nie gearbeitet hat.
Ganz neu ist ein Computerprogramm im Sinne einer Browser-Erweiterung, das helfen soll integrativer zu schreiben. Diese Anwendersoftware macht Vorschläge bei potentiell problematischen Wörtern. Woke lässt grüssen, denn die Software achtet auf eine gendergerechte Sprache und weist auf ethnisch und religiös neutrale Ausdrucksweisen hin. Zudem helfe sie ableistische Sprache – also solche, die (meist ungewollt) Menschen mit Behinderungen ausgrenzt oder herabsetzt – zu vermeiden. Im Business-Kontext zeigt das Programm auf, wie man schreibt, ohne bestimmte Gruppen abzuschrecken. So werden beispielsweise Wörter – wie «Herausforderung», «stark» oder «Expertise»– markiert, weil diese auf eine übermässig kompetitive Firmenkultur hinweisen und so gewisse Talente einschüchtern könnten. Die Generation Schneeflocke lässt grüssen. Es ist aus meiner Sicht etwas völlig Absurdes, aber handkehrum sind wir uns tatsächlich oft nicht im Klaren, wie tief mögliche Diskriminierungen in unserer Alltagssprache verankert sind – natürlich meist, ohne dass sie von uns beabsichtigt sind oder bemerkt werden.
Nun droht den Schriftstellern noch von anderer Seite Ungemach. Unlängst habe ich von einem Reiseschriftsteller namens Sören Sieg gelesen, dessen neuestes Werk «Oh wie schön ist Afrika...» vom Verlag dem «sensitivity reading» unterzogen worden war. Es ist absolut hanebüchen, abstrus, um nicht zu sagen vollkommen idiotisch, was der «Reader» dabei alles beanstandet hat. Ein «Sensitivity Reader» sollte eigentlich Texte auf verletzende oder missverständliche Darstellungen und Ausdrucksweisen hin prüfen, wobei es nicht darum geht, Themen zu verbieten oder gar zu zensieren, sondern darum, Autoren und Autorinnen zu helfen, die richtigen Worte zu finden, für das, was sie eigentlich Ausdrücken möchten, um den sensiblen Umgang mit Marginalisierung und Diskriminierung. Aber was dem Text unseres Reisebuch-Schriftstellers widerfahren ist, war eine politisch motivierte «Reinigung» und grenzt an höheren Blödsinn. Sieg hatte ein Buch über seine Couchsurfing-Abenteuer in sechs Ländern Afrikas geschrieben. Wahrscheinlich im Rahmen der allgemeinen hysterischen Rassismus-Debatte, der infiltrativen Woke-Kultur und der einem zum Hals hinaus hängenden «political correctness», sah sich sein «Sensitivity Reader» bemüssigt, den Text von sämtlichen Adjektiven, die das Äussere von Personen beschreiben zu säubern. Als Grund wurde angegeben, dass Beschreibungen Kommentare zu Körpern und unangenehme Anspielungen seien. Und weil Sieg von einem Soldaten schrieb, der ihn in gebrochenem English zu einer Busse verdonnerte, weil er in einem Garten Bäume fotographierte, merkte der «Reader» an, er stelle den Afrikaner als dümmlich dar und reproduziere damit kolonial-klassische Machtstrukturen. Sieg wurde meines Erachtens geradezu abgekanzelt. Unglaublich. Noch schlimmer erging es den Romanen des bekannten walisischen Schriftstellers Roald Dahl, dem Verfasser von «Charlie und die Schokoladenfabrik». 2023 hat ein englischer Verlag Hundert Änderungen in den neuen Ausgaben von Dahls Büchern vorgenommen, in der Absicht empfindsame Gemüter zu schonen. Seine Erzählungen sind offenbar mit dem Kärcher des Wokismus «gereinigt» worden. Alles, was verletzend, provokativ sein oder sonst irgendwie überempfindsame Seelen irritieren, gar aus der emotionalen Bahn werfen könnte, muss geschönt werden. Wobei hier «geschönt» nur ein geschöntes Wort für «zensiert» ist. Denn was anderes ist diese «Verschönung» als eine nachträglich ausgeübte Zensur? Und wie sehen Dahls Texte nach dieser sprachplastischen Chirurgie aus? Aus «fett» wird «enorm», aus «drei Söhnen» werden «drei Töchter», eine Figur liest nicht mehr das Werk Rudyard Kiplings, sondern jenes von Jane Austen, eine Hexe, die sich als «Kassiererin im Supermarkt» ausgibt, ist in der geschönten Version ein «top scientist», also eine Spitzenwissenschaftlerin.c Fehlt nur noch, dass man den Kolumnisten die Satire, Ironie und Persiflagen verbietet. Aber auch das dürfte nur eine Frage der Zeit sein.
Aber nicht nur die Inhalte, nein auch das Schreiben an sich, wird kontrovers beurteilt.
Die Schrift ist ja eine äusserst alte Technologie. Aber als sie neu war, erhob sich ein Lamento über den Niedergang der Kultur infolge der «Technisierung des Wortes». Schreiben war offenbar nicht immer eine allseits akzeptierte Aktion. So liess Platon bekanntlich keinen guten Faden am geschriebenen Wort. Der Wahrheit kämen wir nur via Dialog näher, meinte er. Es könne doch nicht sein, dass etwas, das im Geist ist, ausserhalb des Geistes existiere.
Viele Schriftsteller arbeiten nach einem planvollen, programmatischen Ablauf. Ein vollkommen disziplinierter Schriftsteller war zum Beispiel Charles Darwin, der einem absolut geregelten Tagesablauf nachging. Den Tag eröffnete Darwin mit einem frühmorgendlichen Spaziergang, danach arbeitete er ab acht Uhr. Seinen Arbeitstag beendete er nach dem Mittag und läutete den freien Nachmittag mit einem langen Spaziergang mit seinem geliebtem Foxterrier Polly ein. Generell schien dieser britischer Naturforscher die Mussemomente zwischen den Arbeitssitzungen sehr zu schätzen. Entweder ging er spazieren, hielt ein Nickerchen, las oder schrieb Briefe. Am Nachmittag, gegen 16 Uhr folgte ein dritter kürzerer Spaziergang. Der bedeutende österreichische Schriftsteller Robert Musil fand für sich heraus, dass er nur vier Stunden am Tag konzentriert arbeiten könne. Die restliche Zeit des Tages verbrachte er mit Spaziergängen oder damit, Briefe zu schreiben, denn wenn der Kopf frei ist und die Gedanken schweifen, kommen gemäss Musil die besten Ideen. „Erfolgreiche Schriftsteller arbeiten meist drei bis vier Stunden, und dann ruhen sie sich aus.“ Daneben gibt es „unstete“ Schriftsteller, das heisst solche ohne geregelte „Arbeitszeit“. Zu dieser Sorte gehöre zum Beispiel ich. Mir kommen schon drei bis vier Stunden schreiben als Tortur vor, weshalb ich ja auch kein erfolgreicher Schriftsteller wurde. Dank der Notizenfunktion der Smartphones ist es ja möglich jederzeit und jedenorts aufzuschreiben, was einem gerade so in den Sinn kommt. Von diesem App profitiere ich enorm. Eine weitere Reihe Schriftsteller sind unter anderem wegen ihres Arbeitsstils respektive ihrer Schreibstrategie bekannt. So zum Beispiel der berühmte amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway. Dieser meisterte nicht nur das Schreiben selbst, sondern perfektionierte auch seinen effizienten Arbeitsstil. Hemingway hatte die Angewohnheit, seine Arbeit mitten im Thema oder sogar mitten im Satz zu unterbrechen. So hatte er am kommenden Tag einen genauen Anhaltspunkt, wo und wie er die Arbeit weiterführen konnte. Und genau dies riet er auch einem jungen Schriftsteller: «Die beste Art ist immer dann zu stoppen, wenn es gut läuft und wenn du weisst, was als nächstes passieren wird. Wenn du einen Roman schreibst und das täglich machst, wirst du niemals steckenbleiben. Das ist das Wertvollste, was ich dir zu sagen habe, also versuch, es dir zu merken.» Ein ganz besonderer Arbeitsstil war Ödön von Horváth eigen. Ausgerüstet mit Schere und Klebstoff bediente sich Horváth Schnitt- und Montagetechniken, mit denen er Texte immer wieder neu „abmischen“ und weiterentwickeln konnte. Mit diesem Arbeitsstil stand er voll in der Moderne und hat das digitale «Copy/Paste» vorweggenommen.
Böse Zungen behaupten ein eigenes Buch zu schreiben sei wahrscheinlich die aufwendigste Form zu sagen, dass man sich nicht für andere Bücher interessiert.
Zum Thema Schreiben haben sich natürlich auch namhafte Autoren zu Wort gemeldet. So sagte zum Beispiel die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates: „Man muss nicht in Stimmung sein um zu schreiben, sondern schreiben um in Stimmung zu kommen“ und Günter Grass meinte: „Das Schreiben ist eine schreckliche Tortur – schlimmer nur sind Dichterlesungen vor Frauenkränzchen.“ „Schreiben ist der Versuch herauszufinden, was man schreiben würde, wenn man schriebe,“ äusserte Marguerite Duras und von niemand geringerem als Johann Wolfang Goethe stammt das folgende Zitat: „Für einen Autor ist es eine tröstliche Aussicht, dass alle Tage neue, künftige Leser geboren werden.“ Ebenfalls Goethe, der von Berufs wegen ein Vielschreiber war, vertrat die Meinung: «Schreiben ist geschäftiger Müssiggang." „Schreiben Sie für den Leser! Denn einer muss sich plagen. Entweder der Schreiber oder der Leser,“ wiederum sagte Wolf Schneider, der „Schreib-Papst“ für den deutschsprachigen Raum.
Jedes Mal wenn ich einen meiner Texte als fertig bezeichne, so überfällt mich eine gewisse Melancholie, denn die Arbeit an einem Essay kommt mir vor wie die eines Bildhauers. Anstelle von Marmorblock, Meissel und Hammer geniesse ich es die einzelnen Worte zu suchen und zu arrangieren – den Text zu feilen wie man sagt - bis sie in einem vorzeigbaren, stilsicheren ... daherkommen und gelesen werden können. Aber eben, nach der Fertigstellung entsteht eine gewisse unangenehme Leere und ich fürchte stets aufs Neue, dass ich keine weitere «literarische Skulptur» mehr zurechtbringe.
Wenn ich so mal das Internet durchforste – was ich eigentlich nur ganz selten tue – so bin ich bass erstaunt, wie viele Kurse für integratives Schreiben (was immer das auch ist) angeboten werden und wie viele Lehrstühle es für kreatives Schreiben gibt. Da müsste der Output doch schon ordentlich inspirierter, beflügelter und unterhaltsamer sein.
Im Gegensatz zu Prinz Harry von den Windsors musste ich für meine Texte bis anhin keinen Ghostwriter anheuern. Ein Ghostwriter (Deutsch: Auftragsschreiber), ist ein Autor, der im Namen und Auftrag einer anderen Person schreibt. Die Arbeiten umfassen Bücher, Reden, oder wissenschaftliche Arbeiten aber insbesondere auch Biografien, die im Auftrag von Personen, die einen Text nicht selbst verfassen wollen oder können, geschrieben werden. Ein Lästermaul sagte einmal, Ghostwriter würden das urinieren, was andere trinken. Während Ghostwriting für Prominente und Politiker gang und gäbe ist, ist diese Art Publikation im wissenschaftlichen Bereich stark umstritten. Und: Was Essayisten trinken, das filtrieren ihre eigenen Nieren.
Seien Sie bloss auf der Hut, wenn Ihnen ein Autor sagt, er lege gerade eine kreative Pause ein. Mit grosser Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen schönfärberischen Ausdruck für eine sogenannte Schreibblockade. Im Gegensatz zu dem krankhaften und als unheilbar geltenden Schreibzwang, lassen sich aber Schreibblockaden im Allgemeinen gut überwinden. Im Internet finden sich Hunderte von Seiten, die sich rühmen die Rezeptur zur Lösung von Schreibblockaden gefunden zu haben. Diese Kolumne ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass diese Techniken auch tatsächlich erfolgreich sind. Ein Schreibzwang oder Hypergraphie, ist eine affektive Störung, die als Symptom bei einer Reihe diverser Geistesstörungen vorkommen kann (hauptsächlich in Verbindung mit enormer kreativer Produktivität) und äussert sich in einer manischen, zwanghaften Schreibwut, wobei alle Flächen, auch Wände und Gegenstände, als potentielle Schreibflächen und Schreibaufforderung gesehen werden.
Glücklicherweise für Sie leide ich nicht an Hypergraphie. Aber ich bin auch kein Hasenfuss: Ich stelle mich gerne der Einsamkeit eines leeren Blattes.
Als Schüler habe ich nicht gerne geschrieben. Wenn «Aufsatz schreiben» auf dem Stundenplan stand, so verursachte mir das regelmässig ein Magengrimmen. Heute freuen sich die Schüler geradezu auf diese Lektion, denn mit dem Text-Roboter ChatGPT ist es völlig problemlos einen Aufsatz zu schreiben, den diese Software verblüfft mit blumiger Sprache und geschliffenen Dialogen. Damit hat sie einen Hype um das Thema künstliche Intelligenz ausgelöst. Der Text-Roboter kann mit einer hohen Sprachpräzision Reden ausarbeiten und Geschichten erzählen – und das auch noch in Sekundenschnelle. Das mit gewaltigen Datenmengen gefütterte Programm sorgt für viel Aufsehen, aber auch für Skepsis. Wissenschaftler warnen vor Datenschutzlöchern und anderen Risiken. Ein tieferes Problem bei den GPT3-Modellen besteht darin, dass es nicht möglich ist, nachzuvollziehen, welche Quellen wann und wie in die jeweilige Aussagen eingegangen sind. Und nicht nur dies: Diese Sprachsoftware lügt oft betreffend ihrer Quelle oder erfindet einfach eine Quelle. Man könnte auch von FI (Fake Intelligence) sprechen. So wurde zum Beispiel unlängst publik, dass ChatGPT fälschlicherweise einen Vorwurf sexueller Belästigung gegen einen amerikanischen Professor erhoben hat. Nach ChatGPT soll diese Belästigung auf einer Reise geschehen sein, welche dieser Professor nie unternommen hat und während der Zeit an einer Fakultät, an der er nie gearbeitet hat.
Ganz neu ist ein Computerprogramm im Sinne einer Browser-Erweiterung, das helfen soll integrativer zu schreiben. Diese Anwendersoftware macht Vorschläge bei potentiell problematischen Wörtern. Woke lässt grüssen, denn die Software achtet auf eine gendergerechte Sprache und weist auf ethnisch und religiös neutrale Ausdrucksweisen hin. Zudem helfe sie ableistische Sprache – also solche, die (meist ungewollt) Menschen mit Behinderungen ausgrenzt oder herabsetzt – zu vermeiden. Im Business-Kontext zeigt das Programm auf, wie man schreibt, ohne bestimmte Gruppen abzuschrecken. So werden beispielsweise Wörter – wie «Herausforderung», «stark» oder «Expertise»– markiert, weil diese auf eine übermässig kompetitive Firmenkultur hinweisen und so gewisse Talente einschüchtern könnten. Die Generation Schneeflocke lässt grüssen. Es ist aus meiner Sicht etwas völlig Absurdes, aber handkehrum sind wir uns tatsächlich oft nicht im Klaren, wie tief mögliche Diskriminierungen in unserer Alltagssprache verankert sind – natürlich meist, ohne dass sie von uns beabsichtigt sind oder bemerkt werden.
Nun droht den Schriftstellern noch von anderer Seite Ungemach. Unlängst habe ich von einem Reiseschriftsteller namens Sören Sieg gelesen, dessen neuestes Werk «Oh wie schön ist Afrika...» vom Verlag dem «sensitivity reading» unterzogen worden war. Es ist absolut hanebüchen, abstrus, um nicht zu sagen vollkommen idiotisch, was der «Reader» dabei alles beanstandet hat. Ein «Sensitivity Reader» sollte eigentlich Texte auf verletzende oder missverständliche Darstellungen und Ausdrucksweisen hin prüfen, wobei es nicht darum geht, Themen zu verbieten oder gar zu zensieren, sondern darum, Autoren und Autorinnen zu helfen, die richtigen Worte zu finden, für das, was sie eigentlich Ausdrücken möchten, um den sensiblen Umgang mit Marginalisierung und Diskriminierung. Aber was dem Text unseres Reisebuch-Schriftstellers widerfahren ist, war eine politisch motivierte «Reinigung» und grenzt an höheren Blödsinn. Sieg hatte ein Buch über seine Couchsurfing-Abenteuer in sechs Ländern Afrikas geschrieben. Wahrscheinlich im Rahmen der allgemeinen hysterischen Rassismus-Debatte, der infiltrativen Woke-Kultur und der einem zum Hals hinaus hängenden «political correctness», sah sich sein «Sensitivity Reader» bemüssigt, den Text von sämtlichen Adjektiven, die das Äussere von Personen beschreiben zu säubern. Als Grund wurde angegeben, dass Beschreibungen Kommentare zu Körpern und unangenehme Anspielungen seien. Und weil Sieg von einem Soldaten schrieb, der ihn in gebrochenem English zu einer Busse verdonnerte, weil er in einem Garten Bäume fotographierte, merkte der «Reader» an, er stelle den Afrikaner als dümmlich dar und reproduziere damit kolonial-klassische Machtstrukturen. Sieg wurde meines Erachtens geradezu abgekanzelt. Unglaublich. Noch schlimmer erging es den Romanen des bekannten walisischen Schriftstellers Roald Dahl, dem Verfasser von «Charlie und die Schokoladenfabrik». 2023 hat ein englischer Verlag Hundert Änderungen in den neuen Ausgaben von Dahls Büchern vorgenommen, in der Absicht empfindsame Gemüter zu schonen. Seine Erzählungen sind offenbar mit dem Kärcher des Wokismus «gereinigt» worden. Alles, was verletzend, provokativ sein oder sonst irgendwie überempfindsame Seelen irritieren, gar aus der emotionalen Bahn werfen könnte, muss geschönt werden. Wobei hier «geschönt» nur ein geschöntes Wort für «zensiert» ist. Denn was anderes ist diese «Verschönung» als eine nachträglich ausgeübte Zensur? Und wie sehen Dahls Texte nach dieser sprachplastischen Chirurgie aus? Aus «fett» wird «enorm», aus «drei Söhnen» werden «drei Töchter», eine Figur liest nicht mehr das Werk Rudyard Kiplings, sondern jenes von Jane Austen, eine Hexe, die sich als «Kassiererin im Supermarkt» ausgibt, ist in der geschönten Version ein «top scientist», also eine Spitzenwissenschaftlerin.c Fehlt nur noch, dass man den Kolumnisten die Satire, Ironie und Persiflagen verbietet. Aber auch das dürfte nur eine Frage der Zeit sein.
Aber nicht nur die Inhalte, nein auch das Schreiben an sich, wird kontrovers beurteilt.
Die Schrift ist ja eine äusserst alte Technologie. Aber als sie neu war, erhob sich ein Lamento über den Niedergang der Kultur infolge der «Technisierung des Wortes». Schreiben war offenbar nicht immer eine allseits akzeptierte Aktion. So liess Platon bekanntlich keinen guten Faden am geschriebenen Wort. Der Wahrheit kämen wir nur via Dialog näher, meinte er. Es könne doch nicht sein, dass etwas, das im Geist ist, ausserhalb des Geistes existiere.
Viele Schriftsteller arbeiten nach einem planvollen, programmatischen Ablauf. Ein vollkommen disziplinierter Schriftsteller war zum Beispiel Charles Darwin, der einem absolut geregelten Tagesablauf nachging. Den Tag eröffnete Darwin mit einem frühmorgendlichen Spaziergang, danach arbeitete er ab acht Uhr. Seinen Arbeitstag beendete er nach dem Mittag und läutete den freien Nachmittag mit einem langen Spaziergang mit seinem geliebtem Foxterrier Polly ein. Generell schien dieser britischer Naturforscher die Mussemomente zwischen den Arbeitssitzungen sehr zu schätzen. Entweder ging er spazieren, hielt ein Nickerchen, las oder schrieb Briefe. Am Nachmittag, gegen 16 Uhr folgte ein dritter kürzerer Spaziergang. Der bedeutende österreichische Schriftsteller Robert Musil fand für sich heraus, dass er nur vier Stunden am Tag konzentriert arbeiten könne. Die restliche Zeit des Tages verbrachte er mit Spaziergängen oder damit, Briefe zu schreiben, denn wenn der Kopf frei ist und die Gedanken schweifen, kommen gemäss Musil die besten Ideen. „Erfolgreiche Schriftsteller arbeiten meist drei bis vier Stunden, und dann ruhen sie sich aus.“ Daneben gibt es „unstete“ Schriftsteller, das heisst solche ohne geregelte „Arbeitszeit“. Zu dieser Sorte gehöre zum Beispiel ich. Mir kommen schon drei bis vier Stunden schreiben als Tortur vor, weshalb ich ja auch kein erfolgreicher Schriftsteller wurde. Dank der Notizenfunktion der Smartphones ist es ja möglich jederzeit und jedenorts aufzuschreiben, was einem gerade so in den Sinn kommt. Von diesem App profitiere ich enorm. Eine weitere Reihe Schriftsteller sind unter anderem wegen ihres Arbeitsstils respektive ihrer Schreibstrategie bekannt. So zum Beispiel der berühmte amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway. Dieser meisterte nicht nur das Schreiben selbst, sondern perfektionierte auch seinen effizienten Arbeitsstil. Hemingway hatte die Angewohnheit, seine Arbeit mitten im Thema oder sogar mitten im Satz zu unterbrechen. So hatte er am kommenden Tag einen genauen Anhaltspunkt, wo und wie er die Arbeit weiterführen konnte. Und genau dies riet er auch einem jungen Schriftsteller: «Die beste Art ist immer dann zu stoppen, wenn es gut läuft und wenn du weisst, was als nächstes passieren wird. Wenn du einen Roman schreibst und das täglich machst, wirst du niemals steckenbleiben. Das ist das Wertvollste, was ich dir zu sagen habe, also versuch, es dir zu merken.» Ein ganz besonderer Arbeitsstil war Ödön von Horváth eigen. Ausgerüstet mit Schere und Klebstoff bediente sich Horváth Schnitt- und Montagetechniken, mit denen er Texte immer wieder neu „abmischen“ und weiterentwickeln konnte. Mit diesem Arbeitsstil stand er voll in der Moderne und hat das digitale «Copy/Paste» vorweggenommen.
Böse Zungen behaupten ein eigenes Buch zu schreiben sei wahrscheinlich die aufwendigste Form zu sagen, dass man sich nicht für andere Bücher interessiert.
Zum Thema Schreiben haben sich natürlich auch namhafte Autoren zu Wort gemeldet. So sagte zum Beispiel die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates: „Man muss nicht in Stimmung sein um zu schreiben, sondern schreiben um in Stimmung zu kommen“ und Günter Grass meinte: „Das Schreiben ist eine schreckliche Tortur – schlimmer nur sind Dichterlesungen vor Frauenkränzchen.“ „Schreiben ist der Versuch herauszufinden, was man schreiben würde, wenn man schriebe,“ äusserte Marguerite Duras und von niemand geringerem als Johann Wolfang Goethe stammt das folgende Zitat: „Für einen Autor ist es eine tröstliche Aussicht, dass alle Tage neue, künftige Leser geboren werden.“ Ebenfalls Goethe, der von Berufs wegen ein Vielschreiber war, vertrat die Meinung: «Schreiben ist geschäftiger Müssiggang." „Schreiben Sie für den Leser! Denn einer muss sich plagen. Entweder der Schreiber oder der Leser,“ wiederum sagte Wolf Schneider, der „Schreib-Papst“ für den deutschsprachigen Raum.
Jedes Mal wenn ich einen meiner Texte als fertig bezeichne, so überfällt mich eine gewisse Melancholie, denn die Arbeit an einem Essay kommt mir vor wie die eines Bildhauers. Anstelle von Marmorblock, Meissel und Hammer geniesse ich es die einzelnen Worte zu suchen und zu arrangieren – den Text zu feilen wie man sagt - bis sie in einem vorzeigbaren, stilsicheren ... daherkommen und gelesen werden können. Aber eben, nach der Fertigstellung entsteht eine gewisse unangenehme Leere und ich fürchte stets aufs Neue, dass ich keine weitere «literarische Skulptur» mehr zurechtbringe.
Wenn ich so mal das Internet durchforste – was ich eigentlich nur ganz selten tue – so bin ich bass erstaunt, wie viele Kurse für integratives Schreiben (was immer das auch ist) angeboten werden und wie viele Lehrstühle es für kreatives Schreiben gibt. Da müsste der Output doch schon ordentlich inspirierter, beflügelter und unterhaltsamer sein.
Im Gegensatz zu Prinz Harry von den Windsors musste ich für meine Texte bis anhin keinen Ghostwriter anheuern. Ein Ghostwriter (Deutsch: Auftragsschreiber), ist ein Autor, der im Namen und Auftrag einer anderen Person schreibt. Die Arbeiten umfassen Bücher, Reden, oder wissenschaftliche Arbeiten aber insbesondere auch Biografien, die im Auftrag von Personen, die einen Text nicht selbst verfassen wollen oder können, geschrieben werden. Ein Lästermaul sagte einmal, Ghostwriter würden das urinieren, was andere trinken. Während Ghostwriting für Prominente und Politiker gang und gäbe ist, ist diese Art Publikation im wissenschaftlichen Bereich stark umstritten. Und: Was Essayisten trinken, das filtrieren ihre eigenen Nieren.
Seien Sie bloss auf der Hut, wenn Ihnen ein Autor sagt, er lege gerade eine kreative Pause ein. Mit grosser Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen schönfärberischen Ausdruck für eine sogenannte Schreibblockade. Im Gegensatz zu dem krankhaften und als unheilbar geltenden Schreibzwang, lassen sich aber Schreibblockaden im Allgemeinen gut überwinden. Im Internet finden sich Hunderte von Seiten, die sich rühmen die Rezeptur zur Lösung von Schreibblockaden gefunden zu haben. Diese Kolumne ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass diese Techniken auch tatsächlich erfolgreich sind. Ein Schreibzwang oder Hypergraphie, ist eine affektive Störung, die als Symptom bei einer Reihe diverser Geistesstörungen vorkommen kann (hauptsächlich in Verbindung mit enormer kreativer Produktivität) und äussert sich in einer manischen, zwanghaften Schreibwut, wobei alle Flächen, auch Wände und Gegenstände, als potentielle Schreibflächen und Schreibaufforderung gesehen werden.
Glücklicherweise für Sie leide ich nicht an Hypergraphie. Aber ich bin auch kein Hasenfuss: Ich stelle mich gerne der Einsamkeit eines leeren Blattes.