Nasenstüber

Kolumnen

Über Bücher I

„Das Buch ist ein technisch vollendetes Meisterwerk (wie der Hammer oder die Schere), das sich, soviel man auch erfinden mag, nicht mehr verbessern lässt." Diese Aussage stammt von niemand geringerem als Umberto Eco. Doch die erwähnte, durchschlagende Erfindung hatte – ganz im Gegensatz zu unzähligen Start-Ups unserer Zeit - einen schwierigen, harzigen Start, denn die Herstellung der ursprünglichen Materialien Papyrus und Pergament war beschwerlich, zeitaufwändig und teuer, bedeuteten jedoch ein Quantensprung gegenüber den bisherigen Tontafeln.
Eine wirklich geniale Erfindung war diejenige des Kodex. Man kann diesen als „Urbuch“ bezeichnen. Kodex nannte man ursprünglich einen Stapel beschrifteter oder zur Beschriftung vorgesehener Holz- oder Wachstafeln, in der Folge dann ein von zwei Holzbrettchen umschlossener Block gefalteter oder gehefteter Papyrus- oder Pergamentblätter. Die bequemere Handhabung war ein entscheidender Vorteil des Kodex gegenüber der älteren Buchform, nämlich der Schriftrolle. Diese nunmehr führende Buchform hat sich dann seit der Ablösung der Rolle in der Spätantike nicht mehr wesentlich verändert.
Damit aber ein Buch erst entsteht, also aus einem Manuskript ein bequem lesbares Schriftstück wird, braucht es ein gerüttelt Mass an technischen Arbeitsschritten.
Die Herstellung eines Buches ist in der Tat ein interessanter Prozess.
Da wäre zum einen der Druck. Entgegen der landläufigen Schulmeinung war es nicht ein Deutscher, sondern ein Chinese, welcher den Buchdruck erfunden hat, denn anno 868 wurde in China die erste Druckversion des «Diamant-Sutra» mittels Holztafeldruck (auch Holzblockdruck genannt) hergestellt, einem Verfahren, das der Hochdrucktechnik zugerechnet wird. Der deutsche Goldschmied Johannes Gutenberg seinerseits erfand die Druckerpresse und den modernen Buchdruck erst im 15. Jahrhundert. Dadurch erfuhr das gedruckte Buch jedoch einen ungemeinen Aufschwung und verbreitete sich rasant weltweit, wurde schließlich zum Massenartikel. Aber wiederum dauerte es Jahrhunderte bis neue Techniken erfunden wurden, denn bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es keine einschneidende Neuerungen in diesem Bereich. Der Hochdruck war bis etwa 1970 das wichtigste Verfahren zur Herstellung von Büchern. Heute spielt diese Technik im Vergleich zu anderen Druckverfahren wie z. B. Offset- oder Digitaldruck nur mehr eine untergeordnete Rolle. Schliesslich war also der Buchdruck mittels verschiedenster raffinierter Techniken etabliert und industrialisiert und das leidige zeitraubende Kopieren – im Mittelalter vornehmlich in Klöstern – gehörte der Geschichte an.
Durch den Buchdruck wurden Bücher endlich für eine breitere Allgemeinheit erschwinglich und er hat das Monopol von Staat und Kirche auf die Verbreitung von Druckerzeugnissen aufgebrochen.
Nun ging es darum, aus den bedruckten Bogen ein Buch herzustellen. Das heisst, zum zweiten müssen die mehr oder weniger zahlreichen Blätter respektive Bogen gebunden werden. Da erscheint der Buchbinder auf der Bühne. Natürlich wurde mit dem Aufkommen und der Verbreitung des schliesslich industriell hergestellten Papiers, die Technik des Buchbindens zusehends verfeinert und standardisiert, aber bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Binden von Büchern eine rein handwerkliche, aufwändige Tätigkeit mit vielen Abläufen.
Beim Arbeitsschritt der Buchblockbildung werden zunächst die gefalzten Bogen in der richtigen Reihenfolge über- bzw. bei dünneren Broschuren auch ineinander gelegt.
Das Heften, der darauffolgende Schritt, geschieht in den meisten Fällen in einer einzigen Maschine, der Sammeldrahtheftmaschine. Je nachdem wie das Endprodukt beschaffen sein soll, wird der Buchblock dann maschinell durch Draht- bzw. Fadenheftung oder Klebebindung verbunden.
Eine wichtige Aufgabe, die parallel zu den bisher genannten Schritten erfolgen muss, ist das Kollationieren, das Durchführen einer visuellen Kontrolle. Man kann sich vorstellen, dass es vor allem bei Büchern mit mehreren 100 Seiten, leicht zu einem Durcheinander der verschiedenen Bogen kommen kann. Fehler in der Reihenfolge der Bogen kommen in der Tat nicht selten vor, so dass die Richtigkeit des durchgeführten Zusammentragens als auch die Vollständigkeit der Bogen kontinuierlich überprüft werden muss.
Auf das Heften folgt die Ableimung des Buchrückens. So wird eine durchgehende Verbindung der Bogen im Rücken erreicht und ein Verschieben der äusseren Lagen verhindert.
Der nächste Schritt ist das Runden des Buchblocks am Rücken. Dafür wurde der Buchblock ursprünglich auf eine feste Unterlage gelegt und mit dem Hammer in die gewünschte Rundung geschlagen, was auch heute noch in kleineren Betrieben geschieht. Grössere Betriebe arbeiten mit Rückenrundemaschinen. Um die durch das Heften entstandene Steigung im Falz in eine stabile Fassung zu bringen, wird der Buchblock anschliessend abgepresst.
Die letzten Schritte der Buchblockbearbeitung sind das Hinterkleben des gehefteten Buchrückens und das Anbringen der Kapitalbänder. Je nach Gewicht des Buches wird für das Hinterkleben Molton, Gaze oder auch nur reissfestes Papier verwandt.
So, jetzt haben wir also ein Buch oder eben dank der modernen, maschinellen Verarbeitung Tausende von Büchern, über welche wir reden können. Aber da hat doch tatsächlich so ein französischer Witzbold Namens Pierre Bayard ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Comment parler des livres que l‘on a pas lus (Wie man über Bücher redet, die man nicht gelesen hat)“.
Sie jedoch, liebe Leserin, lieber Leser, sind mit mir wohl einer Meinung, dass Bücher aber schliesslich gelesen werden wollen (sollen), obwohl man sagt, dass Leser eine aussterbende Spezies seien.
Eine kürzlich publizierte Studie hat gezeigt, dass wer jeden Abend mindestens sechs Minuten in einem Buch liest, seinen Stresslevel um fast 70 Prozent reduziert und emotional intelligenter wird. Zudem erweitere er seinen Wortschatz. Meine liebe Frau liest praktisch jeden Abend während mindesten einer Stunde. Sie können sich unschwer vorstellen wie immens und differenziert ihr Wortschatz ist.

Aber auch Vorlesen hat seine Vorzüge und positiven Folgen. Kinder lieben es, wenn ihnen vorgelesen wird. Vorlesen ist eine wunderbare Möglichkeit Zeit mit ihnen zu verbringen und gemeinsam für eine Weile in fremde Welten einzutauchen. Eigenartigerweise wollen Kinder oft wiederholt die ein und dieselbe Geschichte vorgelesen bekommen. Da ist man ja dann schon geneigt etwas Abwechslung, etwas Kreatives in die Geschichte einzubauen um dem Kind die Monotonie zu ersparen. Weit gefehlt! Sie kennen das ja wohl auch: Wenn man einem Kind vorliest und es nur die geringste Abweichung einer bekannten Geschichte registriert, wird sofort die Originalversion reklamiert. Dennoch, mit Vorlesen wird die Entwicklung unterstützt. Kinder, denen regelmässig vorgelesen wird, haben einen grösseren Wortschatz und lernen leichter lesen und schreiben als Gleichaltrige ohne diese Erfahrung. Sie verbinden ein positives Erlebnis mit dem Lesen und greifen später mit mehr Freude zu Büchern, Zeitungen oder E-Books. Das Vorlesen verbessert die Bildungschancen von Kindern nachweislich und erleichtert ihnen auch den Einstieg in die Berufswelt. Vielleicht entspricht es einem diesbezüglichen Wunschdenken, wenn Erwachsene „sich Hörbücher reinziehen“.
Wenn wir schon bei Büchern sind, so hätte ich da noch einen neuen Beruf für Sie. Nein, natürlich nicht Buchdrucker oder Buchbinder, auch weder Buchhändler noch Antiquar, sondern Bookfluencer. Unter dem reisserischen Titel „Tiktoks Bookfluencer sorgen für Verkaufsrekorde“ erschien diesen Frühling ein lesenswerter Artikel in den Tageszeitungen. In der Tat gehen auf Tiktok neuerdings Videos unter dem Hashtag #Booktok viral. Die Plattform erweist sich offensichtlich als digitaler Buchclub mit grossem Erfolgspotenzial. Über 50 Milliarden Aufrufe hat der erwähnte Hashtag bisher erreicht. Auf Tiktok – eigentlich bekannt für Videos von skurrilen Rezepten, einstudierten Tanzeinheiten und inszenierten Comedy-Einlagen - wird ganz schön viel gelesen, und zwar Bücher. Die Social-Media-Plattform veranlasst aber nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Kaufen. In Grossbritannien meldet die BBC, dass die meistverkauften Young-Adult-Bestseller auf Tiktok-Trends zurückzuführen seien und für Rekordzahlen sorgten. Sowohl Autoren und Autorinnen als auch Buchhändler nutzen die App gezielt für ihr Marketing.

PS: Obwohl sie definitiv der Young-Adult-Literatur zuzurechnen sind, haben die Epoche machenden Bücher der Serie „Nasenstüber“ auf Tiktok bislang keine Erwähnung gefunden.