Nasenstüber

Kolumnen

Talkshows oder Wo sind die Salonnières?

Talkshows wollen heutzutage das übernehmen, was früher nur einigen Wenigen der Elite vorbehalten war, nämlich die Teilnahme an gepflegten Gesprächsrunden oder anderen kulturellen Veranstaltungen in den sogenannten Salons. Diese Demokratisierung inspirierter Konversationen wäre eigentlich sehr begrüssenswert.
Ein Salon war eine vom 17. bis ins 19. Jahrhundert verbreitete Form der Geselligkeit. Dabei handelte es sich vorwiegend um literarische Salons. Diese waren ein zumeist privater gesellschaftlicher Treffpunkt für Diskussionen, Gespräche und Lesungen. Daneben gab es auch künstlerische Salons unter anderem mit musikalischen Darbietungen aber auch politische und wissenschaftliche. Vor allem wohlhabende und gebildete Frauen, oft adeliger Herkunft, betätigten sich als Gastgeberinnen und wurden in dieser Eigenschaft Salonnière genannt. Die Gastgeber der bedeutendsten Salons waren nie die Mächtigen. Aber gerade diese Position gestattete ihnen, das zu bieten, was ein Salon bieten musste: ein neutraler Boden für die verschiedensten Hierarchiestufen, Professionen und Temperamente. Die Salonnière war in erster Linie Gastgeberin. Sie wählte die eingeladenen Gäste aus. Wenn nötig, das heisst wenn das Gespräch – das in diesen Salons keine ambitiöse oder gar feurige, geschweige denn auf Provokationen fussende Diskussion war - zu ersticken drohte, setzte sie mit einer feinen, nuancierten Frage oder Bemerkung das Räderwerk der Unterhaltung wieder in Gang. Sie war so etwas wie ein Katalysator, der eine chemische Reaktion in Gang setzt.
Als Salonnière musste man viele interessante Leute kennen, musste man Interesse wecken können. Hingegen musste man nicht gut und lange reden können. Um einen erfolgreichen Salon zu führen war also primär ein guter Gastgeber gefragt, nicht der intelligenteste Kopf. Es musste jemand sein mit Neugier und Geschmack, aber nicht von erdrückender Brillanz, jemand mit etwas Ehrgeiz, aber nicht in dominierender Stellung. An diesen Vorgaben hätte sich eigentlich auch im Zeitalter der Talkshows nichts ändern müssen. Warum nur erinnern wir uns nach einer Talkshow bedeutend mehr und länger an den Talkmaster und seine Gäste als an den Inhalt der Gespräche? Entweder weil die geladenen Gäste keine gepflegte Unterhaltung mit einem vernünftigen Gedankenaustausch und angeregter Diskussion in moderatem Ton mehr führen können oder weil der Narzissmus des Talkmaster mit seinem Imponiergehabe und den provokativen Äusserungen diejenigen der Diskussionsteilnehmer bei Weitem übertrumpft, wobei er einen natürlichen Verlauf eines Gespräches erst gar nicht zulässt. Aber was können wir denn schon erwarten wenn die Gästeliste einer Talkshow lauter Kurzzeit-berühmtheiten, Selbstdarsteller, selbsternannte Promis und selbstverliebte Narzissten umfasst? Auch die dominanten Themenbereiche aktueller Talkshows nämlich Prominenz und Unterhaltung, Familie, Liebe und Partnerschaft, Soziales, Gesundheit und Arbeitsleben sowie individuelle Konflikte in privaten Beziehungen und Alltagsprobleme sind nicht angetan Substanz für eine disziplinierte spannende Gesprächsrunde zu liefern. Themen des öffentlichen Lebens mit Bezug zu Politik, Wirtschaft und Justiz sind nur nachrangig vertreten. Von noch geringer Bedeutung sind Themen, die einen Bezug zu Kultur, Wissenschaft, Forschung und Technik haben. Die Themenwahl richtet sich bekanntlich nach den Einschalt-quoten oder nach den Wünschen der Zuschauer.
Wir Zuschauer tragen an der unsäglichen Entwicklung Mitschuld. Die uns Menschen immanente Empathie, das Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelt der anderen Gesellschaftsmitglieder, ist uns weitgehend abhanden ge-kommen zu Gunsten reiner Schaulust. Man weidet sich geradezu an den Schicksalsschlägen und Katastrophen, welche die Talkrundenteilnehmer erlitten haben. Falls nötig giesst der Moderator respektive Talkmaster noch etwas Öl ins Feuer.
Heute ist der Salon eben zu einer Show verkommen. Das hat zur Folge, dass neben dem Talkmaster auch die Teilnehmer sich gut, vor allem aber möglichst lange und lautstark in Szene setzen wollen. Es resultiert ein Hickhack das von Arroganz, Perfidie und Narzissmus geschürt wird. Es regieren bei diesen Formaten des Meinungsaustausches Selbstzufriedenheit oder Empörung. Der Talkmaster sollte eben wie die Salonnière eigentlich nur ein guter Gastgeber sein und bei Stillstand der Diskussion diese mit interessanten Bemerkungen oder Fragen wieder beleben. Die grosse Kunst eines guten Talkmasters ist es interessante Leute zusammen-zubringen mit anderen interessanten Leuten und mit interessanten Fragen eine animierte Diskussionsrunde zu entfachen. Die meisten Talkmaster wollen aber mit ihrem Halbwissen renommieren und verpacken in ihre Fragen in ganze Abhandlungen oder wollen mit ausschweifenden Feststellungen ihre Belesenheit und Eloquenz unter Beweis stellen. Oft missbrauchen die Talkmaster ihre Stellung auch dazu, irgendwelche Ideologien medien-wirksam zu platzieren. Aber eine Demokratie hört irgendwann auf eine zu sein, wenn die Deutungshoheit darüber was Wissenschaft, Journalismus oder eine faire Debatte sind, von einer Obrigkeit und ihren Helfern bestimmt wird, egal in welchem Mantel dieses Obrigkeit auch immer schlüpft.
Aber was schreibe ich da von Talkmastern im Fernsehen. Heute sind wir bei den digitalen Talkmastern und Gastgeber angelangt. Sie wissen wahrscheinlich was ich meine. Die relativ neue App «Clubhouse» imponiert schon fast wie ein kultivierter Salon. Der kultivierte Ton dieses sozialen Mediums ist dem Einfall «audio only» geschuldet. Clubhouse kommt ganz ohne Text und Emojis aus und ist trotzdem äusserst interaktiv. Es gibt keine Posts oder Feeds, sondern Räume. Wer etwas zur Diskussion beitragen möchte, macht durch einen Handzeichen-Button auf sich aufmerksam und wird dann vom Gastgeber – sprich Gesprächsleiter - freigeschaltet. Eigentlich ein erfreuliches zurück zum Salon, aber eben diesmal digital.
Anstelle all der Talkmaster und virtuellen Gesprächsleiter hätten wir gerne wieder ein paar richtige Salonnièren, es könnten im Zuge der Emanzipation auch Salonniers sein, die mit schlagfertigen Kommentaren interessanten Gästen spannende Geschichten entlocken und eine unterhaltsames gepflegtes Gespräch ankurbeln, dem man mit Freude und Wohlbehagen zuhören kann.