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Kolumnen

Dem Denken ein Denkmal I

DerDenker

Denken ist anstrengend und fehleranfällig. Trotzdem versuche ich es, denn ist es an der Zeit, mal ein paar Gedanken zum Denken zu Papier zu bringen. Es lässt sich dabei nicht vermeiden, den sattsam wiederholten, in passenden und völlig unpassenden Situationen zitierten, ersten Grundsatz des Philosophen René Descartes zu erwähnen: „Cogito, ergo sum“ (Ich denke, also bin ich), den er 1641 in seinem Werk „Meditationes de prima philosophia“ formulierte.
Irgendwie komplizierter und damit - meiner Ansicht nach - auch noch etwas philosophischer, erscheint mir der Titel eines grossen Hits von Juliane Werding: «Wenn Du denkst Du denkst, dann denkst Du nur Du denkst.» Dabei geht allerdings weniger um das Denken an sich, als vielmehr um das vermeintlich primitive, scheuklappenartige Denken der Männer, denn dass das männliche Denken primär testosterongesteuert sei, ist ein weit verbreiteter Mythos. Wie sagte doch Friedrich Dürrenmatt so pointiert: „Die Frau hat das Denken im männlichen Sinne nicht nötig.“

Aber lassen wir diesen Aspekt mal beiseite, denn es gibt verschiedenste Arten von Denken, nicht nur das männliche. Da ist zuerst einmal das kritische Denken, zudem wird zwischen unabhängigem und geleitetem Denken unterschieden. Geleitetes Denken – so wenigstens verstehe ich diese Charakterisierung – ist vordergründig für Menschen gedacht, die «ungeübt» sind im Denken, die also irgendeine Form von aktiver Begleitung beim Denken benötigen, eine gedankliche Krücke sozusagen.
In Wirklichkeit registrieren wir doch laufend, dass es etliche Menschen gibt – und beileibe nicht nur Männer - , die mit dem Denken Mühe bekunden, um es mal vorsichtig auszudrücken, gelinde zu sagen. Und ist es nicht eine Tatsache, dass viele Menschen beim Denken Hilfe, Rückhalt, Überredung, Impuls, Motivation oder was auch immer bräuchten? Aber die meisten von denen erkennen dieses eigene Defizit leider nicht.
Zahlreiche berühmte Persönlichkeiten haben sich nicht nur pointiert und überspitzt sondern geradezu polemisch zu diesem Thema zu Wort gemeldet. So zum Beispiel Arthur Schoppenhauer, der meinte: „Zum Denken sind wenige Menschen geneigt, obwohl alle zum Rechthaben.“ Oder etwa Anatole France, der französische Nobelpreisträger, der äusserte: „Es liegt in der menschlichen Natur, vernünftig zu denken und unvernünftig zu handeln.“, „Alles Denkbare wird einmal gedacht“ so Friedrich Dürrenmatt und der argentinische Schriftsteller und berüchtigte Vielleser Jorge Luis Borges sagte: «Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn».
Zwei weitere Formen des Denkens werden ebenfalls noch unterschieden, nämlich das automatische und das kontrollierte Denken. Das automatische Denken findet unbewusst und absichtslos statt. Es läuft damit unwillkürlich und mühelos ab. Im Alltag sind viele unserer Denkprozesse ganz automatische Abläufe. Das kontrollierte Denken seinerseits ist die bewusste Form des Denkens, absichtlich, freiwillig und aufwendig. Diese Form des Denkens benötigt also Konzentration. Man nimmt etwas wahr und denkt bewusst darüber nach, wie z. B. beim Lernen.
So kommt man zum Schluss, dass also jeder, immer und überall irgendwie denkt - wenn man daraus bloss Energie gewinnen könnte! – mit mehr oder weniger grossem Erfolg. Leider denken viele Menschen nur an sich. Doch wie sagt der Volksmund noch so treffend: «Wenn jeder nur an sich denkt, denken zwar alle, aber niemand denkt an alle.»
Kann man sich denn auch gegen das Denken wehren? Versuchen Sie mal an Nichts zu denken! Es wird Ihnen kaum gelingen, denn niemand weiss woher die Gedanken kommen und wohin sie gehen und deshalb kann man ihnen kaum entrinnen. Wie ein Trommelfeuer oder ein Sternschnuppenregen prasseln sie praktisch pausenlos auf einen ein. Manchmal geht einem so viel durch den Kopf, dass man nicht schlafen kann. In diesem Zusammenhang haben neuere Forschungen gezeigt, dass die Aktivität des weiblichen Gehirns auch in der Nacht nie unter 70% taucht. Das erklärt ja auch vieles!
Die Damen haben es also bedeutend schwerer, sich vom Denken loszulösen. Kann ja auch eine echte Hypothek sein! Andersherum gibt es Individuen, die immer mal wieder einen Denkanstoss benötigen und mit demselben Terminus wird im Internet fast alles beworben. Dem kräfteraubenden Versuch gewissen Menschen mit Denkanstössen auf die Sprünge zu helfen, sie anzuregen, sich zu einer bestimmten Frage Gedanken zu machen, sie zu motivieren, steht diametral das Denkverbot gegenüber.
Mit dem Begriff Denkverbot wird die Unterdrückung von Meinungen oder deren Äusserung bezeichnet, sofern diese von gängigen Interpretationen oder Dogmen abweichen und ist ein unverzichtbares Instrument von Diktaturen. Auch Zensur ist eine Art von Denkverbot. In Theokratien und Autokratien zensieren, verhaften, verbannen oder verbrennen die Herrschenden diejenigen, die nicht der richtigen Meinung sind. Als glasklaren Euphemismus muss man die «Vereinheitlichung des Denkens» bezeichnen, welche Xi Jinping seien Untertanen verordnet hat. Für Diktatoren sind Lesende potenzielle Staatsfeinde, denn Gedanken und Gefühle, die Lesen heraufbeschwört, kann keine Obrigkeit kontrollieren.
In Demokratien wird diese Gewalt weniger brutal ausgeübt. Aber auch dort finden gewisse Leute Mittel und Wege, anderen ihre Überzeugung aufzuzwingen, statt Argumente dafür vorzubringen. Denn nicht weit entfernt von einem Denkverbot ist die Ideologie der «Woke»-Kultur. Die Woke-Welle schädigt die höhere Ausbildung an Universitäten derart, dass sich Ex-Aussenminister Henry Kissinger um den Fortbestand einer intellektuellen Elite sorgt, die künftig die geostrategischen Fragen der Supermacht versteht.
Die Political correctness zielt darauf ab, die Deutungshoheit für alles zu übernehmen, was man öffentlich sagen, was man tun muss bzw. was man öffentlich nicht sagen, nicht tun darf, wenn man nicht moralisch verurteilt werden will. Moderne Universitäten sind die Hot spots, wenn es darum geht, Meinungen erfindungsreich zu unterdrücken. Vortragende werden ausgeladen oder niedergeschrien, streitlustige Dozenten aus der Lehre verbannt, Forschungsmittel zurückgezogen oder umstrittene Artikel aus Archiven gelöscht.
Die aufklärerische Forderung «Die Gedanken sind frei», ist in der Hymne der Gedankenfreiheit, des gleichnamigen Volksliedes formuliert. Der Liedtext wurde um 1780 zum ersten Mal auf Flugblättern veröffentlicht: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Sie rauschen vorbei, wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger sie schiessen. Es bleibet dabei, die Gedanken sind frei.“ Etwa 30 Jahre später entstand die Melodie dazu, und das Lied wurde in der Sammlung «Lieder der Brienzer Mädchen» in Bern gedruckt. Im Jahr 1842 wurde das Lied schliesslich in die Sammlung «Schlesische Volkslieder» von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Ernst Heinrich Leopold Richter aufgenommen.
Freiheit im Denken war eben nicht immer etwas Selbstverständliches. Dieses Privileg stand lange Zeit nur den Herrschenden zu. Untertanen hatten sich ihnen auch im Denken anzuschliessen. Heutzutage nehmen sich wie erwähnt Diktaturen und radikale Ideologien noch dieses Recht heraus.
Weil das Konzept der Gedankenfreiheit seit der Aufklärung unterdrückten Völkern und Individuen Trost und Hoffnung spendete, hat das erwähnte Lied viele Umdichtungen und Aktualisierungen erfahren.
Von Karl Kraus stammt der Ausspruch: «Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.»