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Kolumnen

Serieophilie - „Soap-Kolumne“ 2/2

Die unbeantwortete Frage der ersten Soap-Kolumne (1/2) lautete: Warum sind wir der Serieophilie so verfallen? Die Ursache liegt zum einen wohl in der uns innewohnenden Empathie. Wir interessieren uns dafür, was in unserem Umkreis, in unserer Gesellschaft vorgeht. Wir haben ein endogenes Sensorium für das Befinden der Mitmenschen, für das Auf und Ab in der Gesellschaft. Zum anderen hängt es mit unserer unersättlichen Lust und Gier auf unendliche Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind, zusammen und drittens langt man irgendwann dort an, wo die Geheimnisse der Gestalten und des Milieus weitgehend enthüllt sind und man sich in einer vertrauten Welt bewegt, in der sich eine gewisse Parität zwischen den Charakteren und dem Zuschauer herausgebildet hat. Man möchte als Zuschauer in dieser Vertraulichkeit immer gemeinsam weiterschreiten und nie aufhören.
Menschen sind bestrebt fortwährend Sympathien und Antipathien zu verteilen, wir möchten am Schicksal anderer teilhaben – sowohl zum Guten wie zum Schlechten. Wenn es den Sympathischen gut geht sind wir froh und wenn es den Unsympathi-schen schlecht geht sind wir es auch zufrieden. Das haben wir unseren Spiegel-neuronen zu verdanken. Offensichtlich verhält es sich nicht anders mit den Figuren in einer Fernsehserie. Unsere Empathie macht uns sehr empfindlich für psychologische Siege und Niederlagen, öffentliches Blossstellen, ungerechte Vorwürfe und Schicksalsschläge. So ergreifen wir ungefragter Weise Partei für hintergangene Partner, betrogene Gutmenschen oder ungerecht Behandelte. Und logischerweise sind wir dann brennend interessiert was weiterhin passiert, respektive wie sich die Angelegenheit weiterentwickelt. In diesem Szenario und dessen häppchenweisen Auftischens sind die Serienproduzenten wahre Meister.
Könnte es auch sein, dass etwas im eigenen Leben fehlt und wir da gerne mal über den Gartenzaun schielen was die Anderen machen? Vielleicht finden wir das eigene Leben zu öde, zu uninteressant zu wenig aufregend. Die Einbahnstrasse Fernsehen hart den grossen Vorteil, dass man alle Charaktereigenschaften der verschiedenen Figuren aus der Serie kennen lernen kann, ohne dass man selber etwas von den eigenen Preis geben muss. Als Selbstschutz lässt aber der Zuschauer in der Regel keine intensive Bindung zu, die spontan zu brechen droht und deren Bruch ihn dann in eine psychische Misere abstürzen liesse. Dies erklärt auch die Eigenartigkeit von Fernsehserien, dass sich die Darsteller der verschiedensten Charaktere problemlos auswechseln lassen, ohne dass sich jemand daran stört. In den neueren Serien sind die Figuren nicht mehr einfach gut oder böse sondern ambivalent und sie entwickeln sich im Laufe der Handlung was einen gewaltigen Vorteil gegenüber dem Kinofilm darstellt. (Nur Jacques Tati choreographierte seine Filme nach deren Erstausgabe kontinuierlich, weil ihm immer wieder Verbesserungen respektive Änderungen einfielen.)
Eine Serie ist eine Art optisch-akustisches soziales Netzwerk. Früher musste man sich schämen zuzugeben, dass man ein Serienjunkie ist. Heute ist es beinahe peinlich „D.H.“ oder „Breaking Bad“ nicht zu kennen. Serien zu verfolgen ist geradezu eine Notwendigkeit geworden, denn man will ja an den Stammtischen oder beim Kaffeekränzchen mitdiskutieren können.
Das Rezept für eine erfolgreiche Fernsehserie beinhaltet vor allem Intrigen. Die schüren das Interesse der Zuschauer, ebenso wie Neid, Missgunst und Zwist zwischen den Protagonisten. Jede Menge Flirts - am besten zwischen bereits irgendwie liierten Figuren - gehören dazu. Diese erhöhen die Spannung und damit die Sucht für weitere Episoden. Generationenkonflikte sind ebenfalls ein beliebtes Szenario. Wenn sich die Geschichten im Kreis von Reichtum und Macht abspielen, so kommt das dem Wunsch der Zuschauer nach Besonderem, Unerreichbarem, Exotischem, und Exzentrischem entgegen. Macht ist ja eine Mischung aus Paranoia und Überheblichkeit und deshalb für Abstürze geradezu prädestiniert. Hier kommt dann auch das Element der Schadenfreude zum Zug, dann nämlich, wenn der Drehbuchautor einen besonders Reichen oder Mächtigen einen tiefen Fall erleiden lässt. Das Straucheln von Magnaten, Potentaten, Superreichen oder ranghohen Politikern verleiht boshafte Freude, Schadenfreude. Auch Täuschungen und Enttäuschungen sind besonders wichtige Ingredienzien. Insbesondere Enttäuschun-gen appellieren an unser endogenes Einfühlungsvermögen, lassen uns die Ernüchterung und Desillusion miterleben und wir sind natürlich gespannt wie die Figur der Serie damit umgeht. Des Weiteren sind Heimtücke, List und die verwerflichere Hinterlist wesentliche Elemente einer erfolgreichen Fernsehserie. Es stimmt schon, dass man heutzutage im Paradies vor lauter Schlangen den Apfelbaum nicht mehr fände.
Die meisten Serien sind ein Panoptikum des Katalogs der Laster, der schlechten Charaktereigenschaften: Hochmut, Eitelkeit Habgier, Wollust, Rachsucht, Völlerei, Neid, Eifersucht, Faulheit sowie Feigheit und derjenige Darsteller, der die meisten dieser schlechten Charaktereigenschaften auf sich vereinigt, hat wahrscheinlich die höchste Gage. Vielfach umfasst eine Staffel schon das ganze Spektrum von Fassungslosigkeit, Schadenfreude, Fremdscham, Empörung, Ekel und Mitleid um in der nächsten dieses Potpourri in umgekehrter Reihenfolge wieder herunterzuspielen.
Die populärsten Serien sind ein Stelldichein der Bösewichte, Frevler, Strolche, Unholde, Verbrecher und Missetäter des Inferno in Dantes „Divina Commedia“: Ehebrecher, Verschwender, Gewalttätige, Betrüger, Bestechliche, Räuber und Verräter.
Schlussendlich sind Fernsehserien halt doch ein Spiegel der Ausschweifungen und des Sittenverfalls unserer Gesellschaft mit ihren Verirrungen, Gemeinheiten und ihrem Makel. Das fasziniert uns offenbar ungemein und die Serienproduzenten werfen uns diese szenischen Köder so wohl dosiert zu, dass wir notgedrungen „serieophil“ bleiben.
Walt Disney hatte in seinen Mickey Mouse-Heften das Meiste davon schon vorweggenommen.