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Kolumnen

Schafft bloss die Adjektive nicht ab! – Eine Replik.

Es geht um Folgendes: Vor nicht allzu langer Zeit las ich in einem Schweizer Online-Journal einen Beitrag mit dem Titel: „Schafft die Adjektive ab!“. Der Autor ereifert sich darin, dass zum Beispiel Morde immer als „schrecklich“ bezeichnet, Schrillen immer als „laut“ und Schlägereien stets als „brutal“ charakterisiert würden. Natürlich musste er sich dabei auf eine Auswahl beschränken, aber man könnte wirklich fast unzählige weitere Beispiele anfügen wie etwa, dass fast jede erwähnte Aussicht als„traumhaft“ beschrieben wird, die meisten Männer sich „unwiderstehlich“ vorkommen, Abenteuer stets „phantastisch“ sind und das Tempo in Verfolgungsszenen immer „atemberaubend“ ist. Der Verfasser des erwähnten Artikels schreibt: „Viele Adjektive haben wegen ihres inflationären Gebrauchs längst ihre Kraft verloren: Schrecklich, wunderbar, wunderschön, herrlich, katastrophal, furchtbar, einzigartig, schlimm - was heisst das schon? Das sind nur noch Worthülsen. Mit ihrem verschwenderischen Einsatz von ausschmückenden Adjektiven und Adverbien wollten gewisse Schreiber ihre vermeintlich literarische Begabung zum Ausdruck bringen und sich als kreative Sprachschöpfer inszenieren. Das Ergebnis ist oft nur peinlich.“ Er findet sich in bester Gesellschaft, denn schon Mark Twain schrieb in einem Brief an D.W. Bowser: „Wenn Sie ein Adjektiv sehen, bringen sie es um!“ und Georges Clemenceau, Zeitungsverleger und später französischer Ministerpräsident, wies seine Redakteure an: „Bevor Sie ein Adjektiv hinschreiben, kommen Sie zu mir in den dritten Stock und fragen, ob es nötig ist.“
An wem liegt es denn, dass die Journalisten stets über „dramatische“ Hungersnöte, „ohrenbetäubenden“ Lärm, „schreckliche“ Morde“ und „furchtbare“ Flugzeugabstürze schreiben müssen? Die im Artikel aufgeführten Adjektive bewegten den Autor zudem zu der Aussage, dass die meisten Adjektive ausgelutscht, nichtssagend seien und ihre Bedeutung verloren hätten. Viele könnten ersatzlos gestrichen werden. Einen Mehrwert, eine Zusatzinformation lieferten sie selten. In Bezug auf die Berichterstattung muss ich ihm absolut Recht geben, denn die grassierende Inflation was die Adjektive in diesem Sektor betrifft ist schon imposant und leider sogar im Zunehmen. Offenbar gibt es auch im journalistischen Bereich einen Mainstream, dem man sich nicht so leicht entziehen kann oder vielleicht auch der Bequemlichkeit wegen gar nicht will. Es ist in der Tat schlichtweg unausstehlich, wenn man schon in voraus weiss, welches Adjektiv das nachstehende Substantiv ausschmücken wird. Das verspricht weniger als nur eine langweilige Lektüre. Die Eintönigkeit in den Printmedien ist nicht zu übersehen respektive zu überlesen, denn oft genug liest man ja, dass etwas „schön“, „nett“ oder „gut“ gewesen sei. Das sind verbale Generika, die alles und nichts aussagen. Dann wirklich lieber kein Adjektiv.
Aber generell muss man dem Artikel vorwerfen, dass er sehr „undifferenziert“ abgefasst wurde. Anstatt „Schafft die Adjektive ab!“ denke ich, sollte der Titel der Paulschalempörung doch eher „Wir wollen wieder geistreiche, originelle Adjektive!“ heissen. Immerhin schreibt der Verfasser des eingangs erwähnten Artikels „die meisten“ Adjektive seien wegzulassen und nicht gleich „alle“, obwohl der Titel gerade dies zumindest suggeriert. Aber selbst wenn man nur „die meisten“ Adjektive abschaffte, blieben nur noch ganz wenige. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusehen, dass nicht die extravaganten, aussergewöhnlichen, mitreissenden oder abwechlungsreichen Adjektive verbleiben würden, sondern der „adjektivische“ Einheitsbrei des 21. Jahrhunderts. Eine jämmerliche Verkümmerung des Sprachschatzes bahnte sich an. In Zeiten von Twitter, SMS und Pendlerzeitungen droht unser Wortgut, unser Vokabularium ja eh schon zu schrumpfen, zu verrosten und zu verwelken. Wenn jetzt auch noch die Adjektive abgeschafft werden sollten, so läsen wir bald weniger Text als er in früheren Zeiten in Telegrammen je enthalten war. Viele Leute sind nun mal so warmherzig, dass sie herzliche Grüsse senden, einem Kranken gute Besserung wünschen und den Verwandten und Bekannten frohe Weihnachten. Was ist denn daran falsch? Und schliesslich gibt es ja noch zahlreich andere schriftliche Erzeugnisse als bloss journalistische!
Wie eintönig, um nicht zu sagen stinklangweilig und unattraktiv wären viele Texte, wenn man nicht von parasitären Institutionen, verbaler Zurückhaltung, zuverlässiger Inkompetenz, vorschnellem Aktionismus, konstruktiver Destruktion, vorsichtiger Zuversicht, unbekümmerter Borniertheit, penetranter Bürgernähe, kulturell eindimensional erzogenem Publikum oder demonstrativer Ironisierung läse. Wie farblos, monoton und geisttötend wäre die Literatur, wenn vorauseilender Gehorsam, romantische Gemeinplätze, gepflegte Gleichgültigkeit, lahmendes Interesse, biedere Verruchtheit, aufreizende Beiläufigkeit, kurzsichtiger Zeithorizont, vulkanisches Mitteilungsbedürfnis, friedliche Oberflächlichkeit, höfliches Missachten, apodiktische Arroganz, sträfliche Ahnungslosigkeit, aufgeregte Festlichkeit, kuriales Purpur oder indigniertes Schweigen nie mehr Erwähnung fänden.
Alle Mitglieder der schreibenden Zunft haben es ja in der Hand abgedroschene, altbackene, phrasenhafte, ausgeleierte, platte, geistlose, abgeschabte, abgenutzte oder banale Worthülsen auszumerzen und sie durch attraktive, ausserordentliche, hervorragende, geistreiche und originelle Adjektive zu ersetzen. Dafür braucht es keine Sprachpolizei. Und was bitte ist falsch, wenn man sich als kreativer Sprachschöpfer inszeniert?
Zum Schluss noch eine grosse Bitte: Unterschreiben Sie die - meiner Meinung nach - unsinnige Petition „Für adjektivfreie Texte“ nicht. Ich bin Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet. Wahrscheinlich einige andere Leser auch.