Nasenstüber

Kolumnen

Die Sprache ist (k)ein Museum

Ein Germanist betitelte unlängst einen seiner Artikel affirmativ mit „Die Sprache ist kein Museum“. Diese kategorische Aussage hat mich zunächst richtiggehend geschockt. Wenig später hat sich Bastian Sick, der Autor der äusserst unterhaltsamen und lesenswerten Buchserie „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, in einem Interview dahingehend geäussert, dass es erlaubt sein müsse, mit der Sprache zu experimentieren. Auch diese Anmerkung fand ich in erster Lesung falsch.
Wie es einem so geht, im Umgang mit provokativen Äusserungen, so sind auch mir diese beiden Behauptungen immer wieder durch den Kopf gegangen. Schliesslich machte ich dann eine argumentative Kehrtwende. Denn auch ich bin der Meinung, dass die Sprache etwas Lebendiges ist und ein phantastische Plattform für jedwede Kommunikation bietet. Oder eben doch nicht? „Wörter sind wie Katzen, sie machen was sie wollen. Ab und zu verschwinden sie, manchmal tauchen sie wieder auf.“ habe ich irgendwo gelesen. Und es ist ja tatsächlich so: Unsere Sprache ist ein auf und ab, hin und her, vor und zurück.
Natürlich braucht es für neue Technologien, Gewerbe und Methoden auch neue Begriffe respektive Bezeichnungen. Das ist ja sonnenklar. Ohne Smartphone gäbe es keine Selfies und keine Apps. Inspirierte Journalisten bescheren uns zudem Wörter wie: Gesinnungsterror, herbeimutmassen, Quarantäneschrank des politisch Inkorrekten, demonetarisieren, Möchtegernzensor, unhintergehbare Tatsache, Musealisierung, Fernpendler, herbeihysterisieren, Schrebergartensicht, Vollkaskomentalität, Verdummungsfalle oder Nachrichtenhohheit. Und natürlich wird unsere Sprache auch durch talentierte Schriftsteller bereichert. Sätze wie: „Mit ihr kam Chanel No. 5 herein.“,„Die Kurzatmigkeit des gegenwärtigen Politikbetriebes.“,„Sie schenkte mir ein Lächeln, das jedoch ihre Augen nicht erreichte.“ oder etwa „Die Zeit, die nicht im hektischen Jetzt kleingehackt wird.“ sind glaubwürdige Zeugen dafür.
Paradebeispiele für Sprachexperimente finden sich vor allem in der Werbung respektive im Marketing. „Wir leben Autos“, „So geht Bank heute“, „Der Wie-für-mich gemacht-Kredit“ oder „Hier werden Sie geholfen“ können hier als Beispiele herangezogen werden. Mir scheint, als gehe es in diesen sogenannten Experimenten vor allem darum, sämtliche Regeln der Deutschen Sprache über den Haufen zu werfen. Zugegebenermassen gibt es aber nach wie vor grammatikalisch und stilistisch korrekte, überaus inspirierte (und erst noch politisch korrekte) Slogans in der Werbung, wie zum Beispiel: „Uns Metzgern ist das Fleisch nicht Wurst.“,„Diese Bürste kümmert sich um jeden Dreck.“ oder „Gelenkprobleme sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ „Alles ist möglich“ wäre ein prägnanter, reisserischer Slogan und sogar total kompatibel mit Duden. Aber er würde wahrscheinlich als protzig, angeberisch, überheblich, unkritisch und grossmaulig abgetan. Häme und Spott wären ihm sicher. Deshalb wohl hat die Werbung – im konkreten Fall diejenige eines Autoherstellers - „Nichts ist unmöglich“ daraus gemacht. Und in der Tat wurde dieser Werbetext vor einigen Jahren zu einem ein echten Renner und war in aller Leute Mund.
Trotz allem finden sich, meiner Meinung nach, deutliche Hinweise für eine Museifikation der Sprache. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff „Haarnadelkurve“. Wer weiss denn heute noch wie eine Haarnadel aussieht respektive ausgesehen hat? Oder den Ausspruch „die Wirtschaft ankurbeln“. Wer erinnert sich noch daran, dass man früher die Motoren der ersten Autos ankurbeln musste um sie zu starten? „Vorwärtsspulen“ ist auch so ein nostalgischer Begriff. Es ist wohl kaum jemandem der jüngeren Generationen geläufig, dass im analogen Zeitalter die Filme als Celluloidstreifen auf einer Spule aufgerollt und die Tonträger als kilometerlange magnetische Bänder auf Spulen gewickelt waren. Wir verwenden das Verb „spulen“ auch heute noch, obwohl der Laser ja elektronisch zum nächsten Stück der CD springt. Auch die Metapher „Es ist Fünf vor Zwölf“ ist immer noch eine eingängige Mahnung, obwohl ja die jüngeren digital aufgewachsenen Generationen keine Ahnung haben woher der Ausruf stammt, denn „11:55“ löst selbst mit Ausrufezeichen keine Alarmstimmung aus.
Zugegeben, wir werden oft Opfer verbrauchter Formulierungen. Wir sind gegen die toten Metaphern nicht gefeit. Darum glauben nicht nur die Werber, sondern auch die Wissenschaftler und sowieso die ganze Horde von MBAs, dass es notwendig sei, unsere schöne Sprache durch Anglizismen zu ergänzen, zu bereichern oder aufzupeppen. Aber gelegentlich geht der Schuss dann auch nach hinten los. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff „Marketing Evangelist“. Der Begriff sollte einen eisernen Erfolgswillen ausdrücken, wie er in besonders kompetitiven Sparten der US-Wirtschaft herrscht. Hierzulande jedoch werden solch militante Attribute vielfach als anrüchig betrachtet. Bei ist anzumerken, dass Anglizismen bloss 0,2% unserer Sprache ausmachen. Sie sind also durchaus zu vernachlässigen und damit letztendlich absolut ungefährlich für die schöne, literarische deutsche Sprache.
Auch will ich hier nicht in die hochaktuelle und brisante „Genderdiskussion“ eingreifen. Aber ich komme nicht umhin anzumerken, dass die Umkrempelung einer für die grosse Mehrheit der Gesellschaft funktionierenden Ordnung - wie eben die Sprache – bloss weil ein paar wenige Aktivisten das lauthals fordern, völlig absurd ist. Während sich die Sprache üblicherweise im Laufe der Zeit an die Gepflogenheiten der Menschen anpasst, erhofft man sich durch diese „Zwängerei“ das Umgekehrte: Man ändert zuerst die Sprache im Glauben das werde sich dann automatisch auf das Bewusstsein der Menschen auswirken. Hat bisher nie funktioniert!
Es braucht nicht zwangsweise täglich neue Wörter in der deutschen Sprache, denn diese hat einen ungeheuren – sprich riesigen – Wortschatz. Hier ist der Ausdruck „Schatz“ angebracht und absolut treffend. Der Fundus ist in der Tat immens. Schon der Wortschatz der deutschen Standardsprache - auch Alltagssprache genannt - beträgt zirka 75’000 Wörter. Die Gesamtgrösse des deutschen Wortschatzes ist gigantisch. Wolfgang Klein, der Leiter des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache, sagt, der Zustand der deutschen Sprache sei „hervorragend“. Nur wenige andere Sprachen besässen „einen derart reichen Wortschatz“. Allein in den letzten hundert Jahren habe er um eine Million Wörter zugenommen. Es gebe heute in deutschen Texten etwa 5,3 Millionen Wörter. Aber eben, all diese treffenden, anschaulichen, akribischen Worte sind nicht umsonst zu haben. Man muss sich schon ein bisschen bemühen, das richtige, angemessene und passende Wort zu suchen respektive zu finden.
Henning Lobin, Direktor des Instituts für deutsche Sprache, will nicht ins Klagelied der Sprachpuristen einstimmen. Das neue Bild der Sprache sei vor allem eines von schnellem Wandel. „Sprache ist ein Fluidum, das sich permanent verändert, das sich anpasst, erneuert und dahinströmt wie ein unbegradigter Fluss,“ meint Lobin. Linguisten würden diesen Wandel nicht als Verfall, sondern als Evolution verstehen.
Wenn ich nun aber lese, dass der ehemalige Kartograf ab sofort ein Geomatiker ist, der Drechsler heutigentags Holzhandwerker und der Galvaniker neuerdings Oberflächenbeschichter heisst, die Innendekorateurin eine Raumausstatterin, der Hafner ein Ofenbauer, der Buchbinder ein Printmedienverarbeiter und der Lastwagenchauffeur jetzt ein Strassentransportfachmann geworden ist, so wäre es mir doch bedeutend lieber, die Sprache wäre ein Museum geblieben.
Und wenn man zuletzt noch vernimmt, dass der traditionsreiche Beruf des Käsers heutzutage Milchtechnologe heisst, wundert es einen nicht zu lesen, dass niemand mehr diesen Beruf ergreifen will.