Nasenstüber

Kolumnen

Verwöhnen und andere zu Schanden gerittene Wörter

Es gibt Vokabeln, die wie Universalschlüssel überall passen. Doch Wörter, die man immer sagen kann, sagen am Ende gar nichts mehr. Da wären mal die Würzwörter. Diese dienen dazu, der eigenen Aussage eine bestimmte subjektive Tönung zu geben. Sie kennen diesen Typ Wort sicher bestens. Wie steht es mit den Plastikwörtern? Diese sind vor allem in der Werbesprache beliebt. Paradebeispiele sind Ausdrücke wie „Struktur“ oder „System“, die nach viel klingen und dabei nichts oder fast nichts bedeuten. Zudem haben sie wegen der inflationären Verwendung jeglichen bedeutsamen Inhalt verloren. Der Begriff Hochwertwort ist der Rhetorik entlehnt, aber auch die Linguistik der Werbesprache bedient sich dieser Wörter sehr gerne, denn die Wörter oder kurzen Phrasen locken positive Emotionen hervor. In politischen Reden werden sie gezielt eingesetzt, um die Zuhörer für die eigene Position zu gewinnen. Mit Hochwertwörtern verbinden die Menschen ein hohes Ansehen, Prestige und vermitteln deshalb positive Assoziationen an ein beworbenes Produkt, was die Zahl derer Verwendung in stratosphärische Dimensionen treibt. Allen diesen speziellen linguistischen Komponenten gemeinsam ist eben, dass sie beinahe in jeder Situation angewandt werden können, dem Zuhörer oder Leser Wichtigkeit, Substanz und Relevanz suggerieren aber letztendlich bloss hohle Worthülsen bleiben. Aber die Inflation betrifft beileibe nicht nur die erwähnten Wortarten. Die aktuell unerträgliche Monotonie der Berichterstattung und wahrscheinlich auch die Früchte von unzähligen Managementseminaren führen zu einer unüberschaubaren Propagation vermeintlich intellektuell imponierender Termini. Ein reines Geplapper.
Den Reigen der abgewirtschafteten Wörter eröffnet verwöhnen.
Die Werbung hat sich diesen Begriff in geradezu verschwörerischem Masse zu eigen gemacht. Mit der Bezeichnung «Verwöhnaroma» warb vor einigen Jahren ein bekannter deutscher Kaffeehersteller für sein Produkt und der Satz „Lassen Sie sich verwöhnen“ ist aus unserem Sprachgebrauch überhaupt nicht mehr wegzudenken. Er begegnet uns nicht nur in der Werbung für Matratzen, Luxus-Resorts oder Thai-Restaurants, sondern auch auf jeder Seite eines Prospektes für Kreuzfahrten, SPAs und Massagesalons. Fehlte nur noch, dass Tattoo-Studios ebenfalls mit diesem Slogan werben.
Die Bezeichnung behaglich hingegen hat ausgedient. Sie ist in den letzten Jahren wegen Nichtgebrauch verstaubt und von Spinnweben bis zur Unkenntlichkeit umgarnt worden. Wohlfühlen ist das neue behaglich. Sich wohlfühlen, das Wohlbefinden, ist zu einem Dauerzustandswunsch geworden. Kein Tag vergeht, ohne dass man nicht von Wohlfühlratschlägen erschlagen wird. Unter der Rubrik «Einfluss der Umwelt aufs Glück» war kürzlich in einer renommierten Zeitschrift zu lesen: «Vögel sind für das Wohlbefinden so erbauend wie eine Lohnerhöhung» und auch der folgende Titel entstammt einem Printmedium «Darum ist das Zwerchfell so wichtig für unser Wohlbefinden“. Offenbar gibt es kaum etwas, das nicht zur Verbesserung unseres Wohlbefindens herangezogen werden kann und es wundert einen ja schon, dass es noch Junge gibt, die zur Schule oder Leute, die zur Arbeit gehen, statt dass sie sich um ihr Wohlbefinden kümmern. Wie man liest, gibt es mittlerweile sogar Experten zum Thema: „Eine Expertin verrät, wie dein Badezimmer zur Wohlfühloase wird.“ Der Terminus Wohlfühloase umfasst so in etwa alles, was man sich zum Wohlfühlen wünscht: Ein von schlechten „vibes“ abgeschotteter, rosaroter Kokon mit behaglichem Ambiente. In derselben Gattung finden wir auch die Bezeichnung Komfort. Die Benennung Komfortzone begleitet uns auf Schritt und Tritt. Komfort werde heutzutage mehr geschätzt, sei wichtiger als Stil, heisst es. Ausspannen, aber weder die Freundin noch ein Pferd, ist - um im Jargon zu bleiben – auch so ein zu Schanden gerittenes Wort aus dieser Gruppe. Im gleichen Sinne gilt das natürlich auch für relaxen respektive chillen. Beide sind offenbar zu den beliebtesten Volkssports geworden. Ich glaube auch, dass Leute, die aktiv diesen Nichttätigkeiten nachgehen, befähigt sind, das permanente Gedankenkarussel im Kopf zum Stillstand zu bringen. Und auch der Terminus Auszeit gehört in dieselbe Kategorie. Laut einer Umfrage nehmen sich mehr als die Hälfte aller Maturanden in der Schweiz nach der Reifeprüfung eine Auszeit, in der sie allerdings nicht arbeiten, um sich ein Studium zu verdienen, sondern sich wochenlang überlegen, was sie studieren möchten. Leider erlaubt es die zeitlich aufwändige, permanente Verwaltung der sozialen Medien nicht, dass man sich vor Abschluss der Mittelschule darüber Gedanken macht, welches Studium einem behagt – der Wohlfühlfaktor schwingt auch hier mit – und was seine eigene Berufung ist. Auch nicht wenige Partner von diversesten Formen einer Beziehung nehmen Zuflucht zu einer Auszeit.
Aber weiter im Text. Nichts scheint im Moment aufregender zu sein als Teambildung. Wenn es mit sportlichen Erfolgen oder unternehmerischen Leistungen hapert, so wird schnell der Ruf nach Teambildung laut, denn als deren Credo gilt die Aussage, dass ein Erfolgsteam produktiv, effizient, zufrieden und zielorientiert arbeite. (Merke: Alles Würzwörter!) Dem Management-Handbuch kann man des Weiteren entnehmen, dass jedes Team zunächst einen längeren Prozess der Selbstfindung durchlaufe, bevor es voll leistungsfähig sei. (Mit dem Begriff Selbstfindung ist uns ein weiteres zu Schanden gerittenes Wort untergekommen.) Clubs und Unternehmen sollten jedoch nicht der Illusion erliegen, in einem Team müssten alle Freunde sein. Im Gegenteil: Eine zu grosse Kumpanei schmälert oft den Output, um in der Managersprache zu bleiben.
Auch systemrelevant gehört offenbar zum momentan unverzichtbaren Wortschatz und hat es prompt zum Wort des Jahres geschafft.
Die Benennung Herausforderung kann ich nicht mehr hören. Niemand will sich mehr eingestehen, dass er ein Problem hat. Wer ein Problem hat, gibt zu, dass er Schwierigkeiten hat, Ärger vielleicht, Scherereien, Angst, dass er nicht weiterkommt. Angst auch, dass er nicht fähig ist, das Problem zu lösen. Denn wer ein Problem hat ist immer in der Defensive. Also dreht man den Spiess um und spricht nur noch von Herausforderungen. Jedoch nicht nur in den Sphären der heroischen Anstrengungen von Cheftrainern, CEOs oder Politikern, sondern längst auch im gewöhnlichen Alltagsgeschehen reden Leute von ihren Herausforderungen. Kochen, Parkplatzsuche, Schnee schaufeln oder ein neues Handy einrichten, alle diese alltäglichen Tätigkeiten bedeuten neuerdings eine Herausforderung. Im Gegensatz zu „Problem“ ist „Herausforderung“ positiv konnotiert. Da ist man in der Offensive. Herausforderung bedeutet: Anpacken, Wagnis, Fähigkeit Schwierigkeiten zu überwinden. Herausforderung lässt auf Dynamik, Engagement und Entschlussfähigkeit schliessen. So sind wir eine Gesellschaft fast ohne Probleme geworden. Wir haben nur noch Herausforderungen.
Der Reigen der abgewirtschafteten Wörter setzt sich fort bis ins Unendliche. Lassen wir es hier mal gut sein. Zum Schluss noch ein vielleicht hilfreicher Tipp: Wenn Sie das nächste Mal Smalltalk betreiben, so flechten Sie doch einfach die Worte Zukunft, Projekt, Identität, Entwicklung, Modernisierung, Kommunikation und Beziehung ein, dann ist ihnen der Status eines intellektuellen, avantgardistischen, sozio-öko-kritischen Menschen sicher, der am Puls der Zeit lebt.