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Kolumnen

Bäumiges

Über Bäume sagt man, sie seien die grünen Lungen der Erde, Rohstoff- sowie Energielieferanten und Klimawandelbremsen. Sie zählen in der Tat zu den beeindruckendsten Lebewesen auf unserem Planeten. Wo das Klima nicht zu trocken oder zu kalt ist, dominieren Bäume die Landschaft. Wo sie wachsen, sind sie ein zentraler Baustein des Ökosystems. Unser globales Ökosystem wäre ohne die Leistungen der Bäume gar nicht vorstellbar. Bäume dienen auch dem Schutz. Ein Schutzwald ist ein hohes Gut, denn er beschirmt tiefer unten liegende Siedlungen und Verkehrswege vor Erosion, Lawinen, Muren, Steinschlag und Hochwasser. Aber es gibt noch wesentlich mehr zu sagen über Bäume.
Seit er seinen Bestseller «Das geheime Leben der Bäume» veröffentlich hat, kommt man an Peter Wohlleben nicht mehr vorbei, wenn man über Bäume spricht oder schreibt. Der diplomierte Förster erzählt in diesem Buch – meiner Meinung nach etwas an der Esoterik kratzend - faszinierende Geschichten über die ungeahnten und höchst erstaunlichen Fähigkeiten, über welche Bäume verfügen sollen, so zum Beispiel, dass sie miteinander kommunizieren, ihren Nachwuchs, aber auch alte und kranke Nachbarn liebevoll umsorgen und pflegen, Empfindungen haben, Gefühle und ein Gedächtnis. Er erklärt des weiteren, wie Bäume über ihr Wurzelsystem mit einem Pilz, dem Mykorrhiza, Kontakt aufnehmen und damit mit anderen Bäumen Informationen austauschen können. Er nennt es das "Wood Wide Web".
Die Botanik definiert Bäume als ausdauernde und verholzende Samenpflanzen, die eine dominierende Sprossachse aufweisen, welche durch sekundäres Dickenwachstum an Umfang zunimmt. Diese Merkmale unterscheiden einen Baum von Sträuchern, Farnen, Palmen und anderen verholzenden Pflanzen. Es gibt auf dem Planeten Erde 73’273 verschiedene Arten von Bäumen (9’186 seien noch zu erforschen). Anders als bislang vermutet, bedeuten mehr warme Tage in Bezug auf Bäume nicht mehr Pflanzenwachstum. Wie Schweizer Forscher kürzlich publiziert haben, wachsen Bäume nur an wenigen Tagen im Jahr. Bäume sind in der Regel sehr resistent, einige Arten kommen jedoch mit Dürrejahren besser zu Rande als andere und Bäume sorgen bestens für ihren Nachwuchs. Selbst in einem Jahr der Dürre produzieren zum Beispiel Eichen tonnenweise Eicheln, aus lauter Angst ihre Nachkommen könnten nicht überleben.
Der grösste Gegner der Bäume heutzutage ist die Motorsäge. Die erschreckenden Meldungen über tägliche Rodungen hunderter von Fussballfeld-grosser Flächen im Regenwald legen ein unerschütterliches Zeugnis davon ab. Das rigorose Abholzen dieser Wälder hat nachweislich auch zu den klimatischen Katastrophen der jüngsten Zeit geführt.
Für gewisse Bäume besteht eine Schulpflicht, nämlich für diejenigen, die kommerziell für den Verkauf aufgezogen werden. Aber in einer Baumschule werden keine Noten verteilt und muss niemand ein Diktat schreiben, lernen allerdings schon. Eine Baumschule ist ein Gartenbaubetrieb, welcher Bäume und Sträucher aufzieht, bis sie gross genug sind um verkauft und umgepflanzt zu werden. In der Baumschule lernen die Bäume gegen das Verpflanzen resistent zu werden, indem sie nach dem Einsetzen der Triebe mehrere Male umgepflanzt werden, um den Jungpflanzen die besten Wachstumsmöglichkeiten zu geben. Wesentlicher Zweck des Umpflanzens ist es, den Wurzelballen so kompakt zu halten, dass beim letzten Einpflanzen - beim Kunden - Krone und Wurzelballen in einem Verhältnis stehen, das für den Baum verträglich ist. Liesse man die Wurzeln ungestört wachsen, so würde der Wurzelballen zu gross, um sie überhaupt noch oder zu wirtschaftlichen Kosten aus der Erde ausgraben und transportieren zu können. Schnitte man stattdessen grosse Teile des Wurzelballens ab, so wären die Restwurzeln nicht mehr ausreichend, um die Krone mit Wasser und Nährstoffen zu versorgen.
In der Natur wachsen die Bäume weitgehend unbehindert. Wald ist die natürliche Vegetation in Mitteleuropa. Sobald menschliche Aktivität nachlässt, breitet sich Wald aus. Der Wald ist also im Vormarsch, wenn Land- und Forstwirtschaft nachlassen. Bäume profitieren ergo vom Nichtstun der Menschen. Vergandung ist ein schweizerischer Begriff. Er bezeichnet die Veränderung von unbenutztem Land durch Bäume. Rund ein Achtel der Schweizer Landesfläche besteht aus Alpweiden. Werden Alpen nicht mehr beweidet, verbreiten sich auf der Alp plötzlich die Pflanzen, die die Beweidung vorher schlecht vertragen haben – beispielsweise Zwergsträucher. Man nennt diesen Vorgang Verbuschung. Die Alp verbuscht. Schliesslich wachsen auch wieder Bäume auf den verbuschten Weiden. So wuchs die Waldfläche in der Schweiz von 2006 bis 2011 um rund 320 Quadratkilometer. Etwa 40 Prozent davon waren zuvor als Sömmerungsweiden genutzt worden. Aber auch das Agrarland verwaldet, wenn es ungenutzt bleibt. Fast die Hälfte der Schweizer Wälder ist unnatürlich. Statt Laubwälder dominieren im Mittelland vor allem Fichten. Weil die Zusammensetzung der Baumarten der Wälder in der Schweiz zu 45 Prozent unnatürlich ist, macht sie das anfälliger für Schädlinge und Stürme.
Eine allerneueste Studie besagt, dass ein Insektenreichtum offenbar vorteilhaft ist für einen Wald, wenn es nicht gerade Borkenkäfer sind oder andere Pflanzenschädlinge.
Um die Insektenvielfalt zu fördern, sei wiederum ein artenreicher Mischwald ideal. Ein Forstmanagement, das räuberische Insekten sowie einen artenreichen Baumbestand fördere, könne dazu führen, dass die Pflanzen auch mehr von dem Treibhausgas Kohlendioxid binden.
Das Wandern ist des Müllers Lust, jedoch der Bäume Frust. In jüngster Zeit werden Bäume gezwungen zu wandern um zu überleben, allerdings habe ich noch nie eine Baum in Wanderschuhen angetroffen. Tatsache ist, dass sich das Klima in den Schweizer Alpen seit den 70er Jahren nachweislich um etwa 1,8 Grad Celsius erwärmt hat. Flora und Fauna reagieren darauf, indem sie in höher gelegene Regionen flüchten, wo es kühler ist. Um in gewohnten klimatischen Bedingungen weiterzuleben, müssten sie aber 60 bis 70 Höhenmeter pro Jahrzehnt zurücklegen. Den meisten Arten gelingt dies nicht. So schaffen Bäume und Sträucher 33 Höhenmeter pro Jahrzehnt – und liegen damit noch vor Vögeln, Farnen und holzzersetzenden Pilzen. Diese schaffen es nur auf 15 Höhenmeter.
Entgegen anders lautenden Informationen wandern Bäume jedoch nicht auf dem sogenannten Holzweg. Die Redewendung „Auf dem Holzweg sein“ beschreibt nämlich ein nicht zielführendes Vorgehen und impliziert die Aufforderung, den eingeschlagenen Irrweg zu verlassen. Das Wort Holzweg beschreibt ursprünglich einen - meist blind endenden - Weg, der in einem Wald angelegt wurde, um geschlagenes Holz aus dem Wald heraus zu transportieren. Der Begriff Holzweg in diesem Sinne ist seit dem 13. Jahrhundert in Gebrauch, seine sprichwörtliche Verwendung seit dem 15. Jahrhundert belegt.
Zu meinem Erstaunen gibt es auch ordentlich viel zu sterbenden oder toten Bäumen zu sagen, nämlich dass Bäume meistens nicht an Altersschwäche sterben, sondern vor allem wegen Insekten und Krankheiten. Von Motorsägen – wie erwähnt – nicht zu reden. Einzelne Bäume sterben vor allem dann, wenn sie sich gegenseitig das Licht, die Nährstoffe oder das Wasser wegnehmen. Dies nennen die Fachleute "Konkurrenz". Durch Konkurrenz geschwächte Bäume wachsen langsamer und verlieren dadurch allmählich den Zugang zum Licht. Sie werden schliesslich durch Pilze oder Insekten befallen und sterben ab.
Grossflächige Wälder sterben eigentlich nur sehr selten ab. Viel eher werden Wälder oder Teile davon durch Naturgefahren zerstört, wie zum Beispiel durch Waldbrände oder Stürme. Zum grössten Teil sind es jedoch Insekten, zum Beispiel Borkenkäfer, welche bestimmte Baumarten zum Absterben bringen, oder Pilzkrankheiten wie das Ulmensterben oder der Kastanienrindenkrebs. In vielen Fällen führt eine Kombination von Ursachen zum Absterben von Bäumen. In den Tieflagen des Wallis zum Beispiel sterben zur Zeit viele Föhren ab. Die Ursache ist eine Kombination von Trockenjahren, steigenden Temperaturen, veränderter Waldnutzung, Konkurrenz durch andere Baumarten, Käfer-, Pilz- und Mistelbefall. Ein Baum, der fällt, macht mehr Lärm als ein ganzer Wald, der wächst. Ein toter Baum ist nicht notwendigerweise eine Katastrophe, denn Totholz, das Zuhause und Nahrung für einen Viertel aller Käfer und für Tausende von Pilzarten ist, schafft die besten Startbedingungen für eine natürliche Waldverjüngung und dies besser als jegliche menschliche Aufforstung. Sterbende Bäume sind zudem wichtig für den Kohlenstoffhaushalt sowie für die Veränderung der Biomasse im Wald.
Ein guter Freund, ein Zimmermann, dessen Kenntnisse über Holz und Bäume unermesslich sind, hat mir bei gemeinsamen Projekten einiges davon verraten. So haben wir uns - im Kontext mit einem abgestorbenen Baum in unserem Wald - kürzlich über die Baumfäule unterhalten. Es gebe drei Arten von Holzfäule, dozierte er: Stammfäule, Lagerfäule und Hausfäule. Während Lagerfäule und Hausfäule an totem Holz auftreten, ist die Stammfäule eine Gefahr für lebende Bäume. Holz besteht zu weit über 90% aus Zellulose, Hemizellulose und Lignin und je nachdem welche dieser Substanzen zuerst abgebaut wird, lassen sich drei grundsätzlich verschiedene Formen von Holzfäulen unterscheiden: Braunfäule, Weissfäule und Moderfäule. Jeder dieser Fäulentypen wird von mehreren spezifischen Pilzarten verursacht, denn die Holz abbauenden Pilze sind darauf spezialisiert, ganz bestimmte Stoffe zu verwerten. Aber es muss nicht immer Fäule sein. Totes Holz wird - wie ausgeführt - normalerweise mit der Zeit von Bakterien und Pilzen zersetzt, es verrottet. Mikroorganismen brauchen allerdings Sauerstoff für ihre Aktivität. Fehlt dieser, kann das Holz unter gewissen Bedingungen zu einem Fossil werden. Um „zu Stein“ zu werden, darf also keine Luft zum Holzstück oder Baum gelangen. Dies ist zum Beispiel der Fall nach einem Vulkanausbruch, wenn die ausgeschleuderte Vulkanasche Baumstämme luftdicht unter sich begräbt. Abgestorbene Bäume können aber auch von Schlamm, Sand und anderem Sediment luftdicht bedeckt werden. So eingepackt liegen die Bäume für lange, lange Zeit. Wasser, das durch den Boden sickert, transportiert in ihm gelöste Stoffe, zum Beispiel verschiedene Mineralien. Es durchfliesst schliesslich auch den eingebetteten Baumstamm und das Holz lagert die Mineralien aus dem Wasser in seinen Zellen ein. Nach und nach wird so das organische Holz durch anorganische Mineralien ersetzt. Die Struktur und die Form des Baumstammes bleiben dabei aber perfekt erhalten. Eisenoxide zum Beispiel färben das Holz rot, gelb oder braun, Kobalt und Chrom geben ihm eine blaue oder grüne Farbe.
Im Zusammenhang mit Erdöl, Erdgas und Kohle spricht man auch von «unterirdischen Wäldern». Diese nicht-erneuerbaren Ressourcen ersetzten nach ihrer Entdeckung den erneuerbaren Rohstoff Holz als Energiespender und sind heutzutage wieder des Teufels.
Auch wenn mehrere Bäume in unserem Wald wegen eines dieser oben erwähnten Fäuletypen absterben, so muss ich doch zugeben, dass die meisten Bäume auf unserem Grundstück durch die Motorsäge umkommen. Dies weil sie entweder am falschen Ort stehen oder zu viele Eicheln und zu viel Laub auf die Pferdeweiden abwerfen.
Finden Sie diese Ausführungen nicht auch bäumig?

PS: Wenn ein Baum gefällt wird, so kann man im wahrsten Sinne des Wortes von einem Todesfall sprechen.