Nasenstüber

Kolumnen

Selbstgespräche

Leseprobe aus "Mit meinem Senf dazu"

(Siehe Rubrik "Bücher")

Jahrelang wurde jemand der Selbstgespräche führte, als senil abgestempelt. Das jagt mir Angst ein, denn wiederholt ertappe ich mich, wie ich «Warum geht das jetzt nicht?» oder «Wo habe ich den verdammten Schlüssel hingelegt?» vor mich hin murmle und sehe mich schon als sozial geächteter vor den Toren einer psychiatrischen Klinik stehen. Selbstgespräche, das machen doch nur Verrückte und Spinner!
Und nun dies: « Selbstgespräche helfen der Impulskontrolle, sie fördern die Konzentration und unterstützen die Planung von Handlungen.» Genau dieser Text war kürzlich in einer Tageszeitung zu lesen. Das hat mein Weltbild grundlegend verändert und mein Selbstwertgefühl schlagartig in die Stratosphäre katapultiert. Es ist einem neuen Zeitgeist und insbesondere der Psychologie - zu welcher ich eigentlich ein deutlich zwiespältiges Verhältnis habe- zu verdanken, dass den Selbstgesprächen ein neuer, durchaus positiver Stellenwert zugesprochen wird.
Die Lektüre des gesamten Artikels sowie eine ausgiebige Recherche ergab denn auch für mich ziemlich erstaunliche Fakten: Zum einen, dass Selbstgespräche zu führen, zu den urmenschlichen Eigenheiten zählt und offenbar eine nützliche ist, denn sie kann dabei helfen, die Leistung zu steigern, zum andern, dass es sich bei Selbstgesprächen schlicht um wahrnehmbares Denken handelt, wobei in manchen Momenten die Stimmen durch das dauernde Gedankenbrausen im Schädel dringen und sich als Selbstgespräch bemerkbar machen.
Selbstgespräche haben viele Funktionen. Die weit unterschätzten und häufig negativ konnotierten Gespräche mit sich selbst, helfen die eigenen Gedanken zu sortieren. Sie können beruhigen, motivieren aber auch Ideen reifen lassen, dabei helfen nichts zu vergessen und Stress abzubauen. Und, nota bene: Selbstgespräche fördern auch Intelligenz und Kreativität. Die Psychologin Linda Sapadin geht noch einen Schritt weiter. Sie sagt, Selbstgespräche seien wichtig für unser psychisches Wohlbefinden. Solche positive „Interaktionen mit uns selbst“ seien eben kein Anzeichen von Verrücktheit, sondern förderten ganz im Gegenteil unsere geistige Gesundheit massgeblich. Thomas Brinthaupt, Professor für Psychologie an der Middle Tennessee State Universität und Mitarbeiter haben in einer Studie mit dem Titel «The Self-Talk Scale: Development, Factor Analysis and Validation» ein neues Instrument, nämlich eben den Self-Talk Scale (STS) vorgestellt, um Studien hinsichtlich der Selbstgespräche zu erleichtern. Dieser STS dient dazu die Häufigkeit von Selbstgesprächen bei Probanden zu erfassen. Er basiert auf vier Kriterien, nämlich: 1. Das “Social Assesment», das Durchspielen von sozialen Situationen, 2. der “Self-Criticism», d.h. Kritik gegen sich selber zu üben, 3. ein «Self-Reinforcement», sich selbst motivieren und 4. Das «Self-Management», will sagen sich selber zu organisieren, also Gedanken zu strukturieren und Handlungen zu planen.
In einer Untersuchung der Universitäten von Bamberg und Wien zeigte sich, dass Probanden, die beim Aufbau eines Fahrradständers Selbstgespräche führten, konzentrierter und strukturierter zu Werke gingen. Eine andere Studie legt den Schluss nahe, dass diejenigen Probanden, welche Sachen laut aussprachen, sich besser an diese erinnern konnten. Das ist natürlich unter anderem eine Sache der Übung, denn wenn man etwas oft hört, auch von sich selbst, vergisst man es nicht gleich wieder. Aber interessanter dabei ist, dass das laute Aussprechen eben auch andere Sinne zur Hilfe holt. Wir haben dann nicht nur ein Bild vor Augen, sondern auch ein Wort im Ohr. Mit zwei Sinnen erinnert man sich definitiv leichter und besser.
Gemäss der Psychologin Corinna Reichl vom Universitätsklinikum Heidelberg sind während der Selbstgespräche die gleichen Hirnregionen aktiv, wie bei einem richtigen Gespräch mit einem anderen Menschen. In der Psychologie nennt man das Autokommunikation. Von Plato stammt der Ausspruch: „Das Denken ist das Selbstgespräch der Seele.“
Selbstgespräche dürfen jedoch nicht mit der Methodik des «lauten Denkens» verwechselt werden. Lautes Denken bedeutet, dass «ein Individuum eine handlungsbegleitende, mündliche Beschreibung seiner gedanklichen Planungen und Vorgehensweisen formuliert». Es handelt sich dabei also um eine Lesestrategie, die von den Lernenden bei Schwierigkeiten einen bestimmten Text zu verstehen, eingesetzt werden kann.
Personen, die regelmässig Selbstgespräche führen, haben ein höheres Kognitionsbedürfnis, das heisst, sie bilden sich ihre Meinung vorwiegend durch Nachdenken und inneres Abwägen, weniger durch äussere Einflüsse. Statt den natürlichen Drang zum Sprechen zu unterdrücken, sollten wir uns also durchaus öfter dem Selbstgespräch hingeben.
Überaus erstaunlich ist es, dass man auch in Selbstgesprächen Neues erfahren kann und schliesslich hat man bei Selbstgesprächen wenigstens einen intelligenten Gesprächspartner.