Nasenstüber

Kolumnen

Recht auf Faulheit oder Die Kunst der Pause


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«Faule aller Länder vereinigt Euch!» Aber auch dazu seid ihr wahrscheinlich zu faul.
Dabei gibt es ein legitimes Recht auf Faulheit, das auf der Evolution gründet. Doch mehr dazu später.
Faulheit hatte über viele Jahre eine negative Konnotation. Das könnte sich bald ändern. Denn auch für das Spektrum der Faulheit findet sich ein Experte, nämlich in der Person des Harvard-Professors Daniel Liebermann, der sich wissenschaftlich mit der Faulheit beschäftigt. Das Studium der Naturvölker hat ihm gezeigt, dass eine Gesellschaft die als Jäger und Sammler lebt, natürlicherweise, instinktiv ihren Kalorienverbrauch so tief wie möglich halten muss, weil sie eben meist nur spärlich und in geringen Dosen erhältlich waren. Jäger und Sammler konnten aufgrund der kontinuierlichen, intensiven physischen Beanspruchung und der insgesamt nicht sehr kalorienhaltigen Nahrung keine überschüssigen Kalorien anhäufen wie wir, die wir uns doch regelmässig Schokolade, Fast-Food, Prinzenrollen-Biscuits, Pommes-Chips und Milchschnitten einverleiben. Naturvölker müssen ergo mit den ihnen zur Verfügung stehenden vergleichsweise bescheidenen Kalorien bewusst sehr haushälterisch umgehen. Da bietet sich dann eben die Faulheit als eine absolut notwendige Überlebensstrategie an, um Kalorien zu sparen. Man konnte sich nicht erlauben mühsam ergatterte Kalorien leichtfertig zu verbraten.

Unsere Faulheit beruht also auf evolutionären Mechanismen. Da aber ich und meine Zeitgenossen uns mit unserem reichhaltigen Nahrungssortiment, all den Snacks, den zahlreichen zuckerhaltigen Softdrinks, Pizzas und sonstigen kalorienreichen Versuchungen mit vergleichsweise billigen Kalorien überfüttern, um nicht zu sagen überfr.... (überfrachten meine ich!), die wir in den meisten Fällen wegen physisch wenig anspruchsvoller, vielfach sitzender beruflicher Tätigkeit nicht wieder genügend abbauen, wurde der Sport erfunden. Damit kann man wenigstens teilweise die überflüssigen Pfunde wieder etwas los werden. Die moderne Gesundheitspolitik hat die Gefahr einer generellen Fettsucht wahrgenommen und versucht geflissentlich Gegensteuer zu geben. Das führt nun dazu, dass wir heute sogar für kalorienarme Nahrungsmittel mehr zahlen als für die Dickmacher.
Die Gallionsfigur der Faulen ist natürlich Oblomov und zum Erraten des Wappentieres der Gilde muss man kein Quiz-Champion sein. Doch auch das Faultier im südamerikanischen Regenwald huldigt mit seiner Faulheit einer Taktik: Indem es sich gleichsam im Zeitlupentempo durch das Blätterwerk schiebt oder stundenlang regungslos als schlafende Pelzkugel im Geäst hängt, macht es sich für das suchende Raubtierauge praktisch unsichtbar. Man merke: Faulheit kann lebenswichtig sein.
Pausen können sehr wohl ein beliebtes, allzu häufig angewandtes Requisit von faulen Leuten sein, aber wohl dosiert und im richtigen Moment angewandt, sind sie nachweislich gewinnbringend. Weil die Pädagogen wissen, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder nur einen äusserst limitierten Zeitraum beträgt und dass deren Stillsitzen und Zuhören Unmut und insbesondere Übermut provoziert, sowie physische Energie aufbaut, dass die Kinder also allenthalben eine Pause brauchen, gibt es kein Schulhaus ohne zugehörigen Pausenplatz, wo die Kinder den im Unterricht aufgestauten Dampf, ihre nicht zu bändigende Energie wieder ablassen, herumtollen und lauthals über das plaudern können, was sie wirklich beschäftigt.
Lange bevor die Schokoriegel und das «Frühstückchen» die Pausenplätze erobert haben, gab die Mutter ihrem Zögling jeweils einen Pausenapfel als Zwischenverpflegung mit in die Schule. Von einem «Snack» sprach damals noch keiner. Der Apfel war aus folgendem Grund eine sinnvolle Pausenverpflegung, weil er erfrischt, gut schmeckt, Energie spendet und das Bedürfnis nach Süssigkeiten stillt. Diese Frucht fördert die geistige und körperliche Entwicklung und schützt gleichzeitig vor Ernährungskrankheiten. Heutzutage kommen viele Kinder ohne Frühstück gegessen zu haben in die Schule. Weil in der Nacht die Energiespeicher des Körpers aufgebraucht werden, fühlen sich diese Schüler daher schlapp, gereizt und sie leiden unter Konzentrationsstörungen und Müdigkeit. Neuerdings erfährt der Pausenapfel ein verdientes «revival», weil innovative Schulen neuerdings gezielt die Gesundheit von Lehrpersonen und Schülern fördern. Im Gegensatz zu früher, wo die Familie der Ort war, wo Ernährungserziehung praktiziert wurde, verschiebt sich diese Aufgabe heute immer mehr in den öffentlichen Bereich und damit in die Schulen. Man hat erkannt, dass der Körper neben Bewegung, frischer Luft zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit und Konzentration auch ein vitaminreiches und gesundes Znüni braucht. All dem kommt der Pausenplatz und ein Pausenapfel entgegen. Übrigens: Ein Apfel enthält über 30 Mineralstoffe und Spurenelemente, u.a. Kalium und Eisen. Nahezu 70 % seiner Vitamine sind in der Apfelschale oder direkt darunter vorhanden. Selbst das Kerngehäuse ist wertvoll, denn es enthält Jod und bekanntlich reinigt der Apfel auch die Zähne.
Irgendwo habe ich gelesen, es gäbe im Leben keine grössere Kunst als die Kunst der Pause. Je länger ich über diesen Satz nachgedacht habe, desto klüger fand ich ihn.
«Mach mal Pause, trink Coca-Cola!” ist einer der ersten Slogans, die sich in meine damals noch sehr jungen Hirnwindungen eingebrannt haben. Die Pause war schon immer Kult. Auf den französischen Autobahnen erscheint in regelmässigen Abständen folgender Schriftzug, der eigentlich einer Aufforderung gleichkommt: «Tous les deux heures, la pause s’impose,», denn auch die Verkehrssicherheit ist letztlich eine Frage der Aufmerksamkeit, des Konzentrationsvermögens.
Aber Pausen sind nicht immer nur gut, erholsam oder schöpferisch, denn es gibt auch quälende, nervige und langweilige Pausen.
Aus dem Stillstand entsteht neues Leben, steht auch irgendwo geschrieben. Das allein ist Grund genug, wiederholt Pausen einzulegen, um die Batterien wieder aufzuladen.
Wenn ein Künstler keine Inspirationen mehr hat - was ja doch gelegentlich mal vorkommen kann – und er den Pinsel, den Meissel weglegt oder wenn ein Schriftsteller wegen einer sogenannten Schreibblockade seine Schreibtätigkeit vorübergehend an den berühmten Nagel hängt, so wird das euphemistisch Schaffenspause genannt. Bei den Hochschulprofessoren wiederum heisst das Arbeitszeitmodell für einen längeren Sonderurlaub Sabbatical und ist eigentlich ein Begriff für ein nach mehrjähriger Lehrtätigkeit wohlverdientes Forschungs- oder Freisemester. Aber im Rahmen der globalen frühzeitigen Ermüdung der jüngeren Generationen im Beruf oder während der Ausbildung, «leistet» sich manch einer heutzutage schnell mal ein «Sabbatical». Aber hier handelt es sich dann doch eher um eine (unverdiente) Auszeit. Wiederholt hatte – als ich noch im Berufsleben stand - mein Oberarztkollege mir damals ins Ohr geraunt: «Er macht mal wieder den Pausenclown», wenn der Klinikdirektor während der Chefvisite sich unpassend benahm. Dies war definitiv kein Zeichen von Anerkennung oder Bewunderung, wenn man sich die Definition vor Augen hält, nämlich eine sich um Aufmerksamkeit bemühende Person, die nur als Belustigung wahrgenommen und nicht weiter ernst genommen wird.
Jeder CD- oder mp3-Player, jeder Videorecorder, jedes DVD-Abspielgerät hat eine Pausentaste, jedoch das Klavier mit seinen 88 Tasten - übrigens politisch völlig inkorrekt sind nur 36 davon schwarz und 52 weiss – die Klaviatur also verfügt über keine Pausentaste und irritierenderweise die Tastatur meines Computers ebenfalls nicht, sodass ich dazu verdammt bin, weiterhin pausenlos Kolumnen oder Glossen zu schreiben.