Nasenstüber

Kolumnen

Hintergründe

Die Mitglieder meiner Generation erinnern sich bestens und gerne an das Cover, welches die LP „Abbey Road“ der Beatles schmückte. Die vier Pilzköpfe aus Liverpool, wie sie im Gänsemarsch tüchtig ausschreitend einen Zebrastreifen (Fussgängerstreifen) der gleichnamigen Strasse überqueren. Doch den Hintergrund des Bildes haben wir alle nicht mehr im Kopf. (Zur Erinnerung: Man sieht eine endlos erscheinende, schnurgerade verlaufende Strasse, links – mit zwei Rädern auf dem Trottoir - steht ein weisser VW-Käfer und am rechten Strassenrand ist, nebst mehreren anderen Autos, zuvorderst ein London-Taxi parkiert.)
So geht es uns doch mit vielen Hintergründen. Dabei sind es gerade die, welche viele Bilder aber auch Fotographien zu dem machen was sie sind. Bedenken Sie bloss, dass die meisten Selfies ja in der Regel vor einer imposanten, exklusiven, landschaftlich ausserordentlichen oder kulturell trächtigen Kulisse gemacht werden.
Und dann gab es damals auch diesen berühmten Film, der auf einem Detail im Hintergrund des Bilder eines Fotografen basierte: „Blow up“. Sie erinnern sich:
Der erfolgreiche Fotograf Thomas arbeitet im London der 60er Jahre an einem Bildband mit Strassenfotografien. Auf der Suche nach weiteren Motiven macht er in einem Park Fotos von einem Paar, das er jedoch nicht um Erlaubnis gefragt hat, worauf die Dame von ihm die Herausgabe der Fotos verlangt. Sie sagt, dass der Mann, mit dem sie im Park war, ihr Geliebter sei und die Bilder daher vernichtet werden müssten. Der Fotograf überreicht ihr eine Filmpatrone, aber diejenige eines anderen Films. Beim Vergrössern, dem „blow up“, der Fotos des Paares, entdeckt Thomas abseits im Gebüsch einen Mann mit einer Pistole mit Schalldämpfer. Auf Abzügen späterer Fotos ist der Geliebte der Frau reglos unter einem Baum liegend zu sehen. Der Fotograf ist verunsichert. Hat er einen Mord fotografiert?
In der Malerei – weniger jetzt natürlich in der abstrakten Kunst – war der Hintergrund vielfach sehr wichtig, weil ausdrucksstark und oft für dass Bild prägend.
Bei Da Vincis „Das letzte Abendmahl“ handelt es sich wohl um das berühmteste Wandgemälde der Welt. An der Wand im Hintergrund des Bildes, finden sich drei Fensteröffnungen - durch die man in die Landschaft blickt -, welche man ob der aktiven Szenerie und Ausdruckskraft in der Dynamik der Gruppe geflissentlich übersieht. Können Sie benennen, was auf dem Hintergrund der „Mona Lisa“ zu sehen ist? (Unter anderem die Serpentine einer Strasse, ein grosser und ein kleiner See, eine Grotte und eine Brücke über einen Fluss.) Der berühmte Barock-Maler Diego Velázquez arbeitete am Hof des spanischen Königs. In der Mitte seines wohl bekanntesten Gemäldes „Las Meninas“ ist die Königstochter zu sehen, welche von zwei Kleinwüchsigen, einem Wächter, Hofdamen sowie einem Hund umgeben ist. An der Wand im Hintergrund hängt ein Spiegel, in welchem man bei genauer Betrachtung die Spiegelbilder der Königin und des Königs sieht. Der zu einem Schrei weit aufgerissene Mund in Edvard Munchs berühmtem Bild, in einem an sich sonst ausdrucks- und farblosen Gesicht, brennt sich bei jedem Betrachter tief in die Netzhaut ein. Dass im Hintergrund zwei weitere Menschen am Geländer der Brücke, Boote auf einem See sowie tief rot gefärbte Wolken zu sehen sind, verschwindet ob der lärmenden Figur im Vordergrund.
Immer wichtiger werden Hintergründe bezüglich Informationen. Mindestens behaupten das aktuell die Redaktionen der Printmedien. Weil die Newsportale des Internets den Zeitungen seit geraumer Zeit die aktuellen Nachrichten stehlen, sehen sich letztere mangels übrigbleibender brisanter News bemüssigt, Hintergrundberichte zu liefern und stellen diese als die wahrhaft wichtigen Informationen und Inhalte dar. Nur durch die ausreichend akribisch recherchierten Zusatzinformationen können – nach ihrer Auffassung - die vordergründigen, reisserisch aufgemachten und oberflächlichen Mitteilungen richtig verstanden werden. Man suggeriert dem Leser sozusagen einen Blick hinter die geschönten Fassaden der trüben Neuigkeitengebäude. „Wir werden überflutet mit News und Kurznachrichten. Doch um die News zu verstehen, braucht es vertiefte Analysen, Kommentare und Hintergrundberichte.“ ist ihr Mantra.
Ich frage mich nun echt, warum mir an dieser Stelle ein Zitat von Heinrich Heine in den Sinn komm, nämlich: „Ein Kluger merkt alles, ein Dummer macht über alles eine Bemerkung“. Wenn auf einer Redaktion im Gefolge des schrumpfenden Zeitschriftenmarktes eine Handvoll Journalisten abgebaut wird, prophezeit und beklagt man jeweils einen gewaltigen Qualitätsverlust. Seltsamerweise ist jedoch niemandem ein gewaltiger Qualitätsgewinn aufgefallen als in den Jahren zuvor manche Redaktion um Dutzende von Journalisten aufgestockt wurde.
Dank den reisserischen Schlagzeilen ist man ja sofort und überall über alles informiert was gerade passiert in der Welt. Doch die meisten von uns sind zu faul oder zu desinteressiert um nachzufragen wie es sich genau mit diesem oder jenem Vorfall verhält, warum dies oder jenes passiert ist, ob es wirklich geschehen ist, oder ob dieser oder jener das Hinausposaune auch tatsächlich getan hat. Hier kommen nun eben die Beleuchter der Hintergründe um Zuge. Da den Printmedien die Aktualitäten geklaut werden, müssen sie notgedrungen auf Sekundärmitteilungen, sprich Erklärungen, Meinungsäusserungen, Enthüllungen und ergänzende Berichte ausweichen. (Etwas despektierlich könnte man sagen: Sie treten die neuesten Nachrichten breit.) Das ist ja im Prinzip auch gar nicht schlecht und vielfach sogar nötig um Klarheit zu schaffen.
Also, damit es nun auch jeder weiss: Hintergrundwissen muss im Vordergrund stehen.