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Kolumnen

Der Friedhof des unnützen Wissens

Neben dem allseits bekannten Autofriedhof gibt es noch weiter Friedhöfe, die nicht so populär sind. Der Friedhof der Ideen von Google zum Beispiel. Dort stranden alle sogenannten „Rohrkrepierer“, das heisst alle vor lauter Übermut, geistiger Zügellosigkeit und Disziplinlosigkeit generierten Ideen, die sich entweder nicht verwirklichen lassen, die keinen genügenden Gewinn abwerfen, sich definitiv als utopisch erwiesen haben oder die sich als unzeitgemäss, kurzum als Hirngespinste, herausstellten. Oder den Friedhof der ungelesenen Bücher. Sie glauben ja gar nicht wie viele Leute bei sich zu Hause einen Friedhof der ungelesenen Bücher haben. Ich mit eingeschlossen. Da schreibt einer, dies oder das sei ein grossartiges Buch, also muss man es sich erstehen. Auch die Bestsellerlisten tragen das ihrige dazu bei, dass ich stets neue Bücher kaufen muss. „Hast Du den neuen „Suter“ schon gelesen?“ fragt mich die Arbeitskollegin und schon muss ich mich erneut in die Buchhandlung bemühen. Dann gibt es noch den Friedhof der unerkannten Talente.
Was hört man nicht alles über verkannte Genies, geringeschätzte Wunderkinder oder unterbewertete Koryphäen. Bald jede Familie hat nämlich einen hochbegabten Fussballer, eine Sängerin mit noch nie da gewesener Stimme oder mindestens ein Tennistalent, eine höchst begnadete Tänzerin oder einen prädestinierten zukünftigen Autorennfahrer vorzuweisen. Nebenan liegt der Friedhof der unveröffentlichten Bücher. Es ist ja kein Geheimnis, dass sich inzwischen so viele Leute Autor nennen, dass die Verlage gar nicht mehr in der Lage sind all die Manuskripte zu sichten, geschweige denn die daraus entstehen sollenden Bücher zu verlegen weshalb Hunderte von Romanen auf dem Friedhof der unveröffentlichten Bücher landen. Das hat andererseits dem sogenannten Selfpublishing enormen Aufwind gegeben. Aber machen wir uns nichts vor, nur die Tatsache, dass irgendwo auf der Welt ein Buch gedruckt wird macht es a) nicht stante pede zu einem Bestseller und b) nicht automatisch zu einem literarischen Leckerbissen.
Kennen Sie den Friedhof der nicht reüssierten Kunst? Auch hier sammeln sich - wie im Friedhof der unveröffentlichten Bücher - nach Meinung der selbsternannten Künstler diejenigen Kunstgegenstände, welche die Gesellschaft leider nicht genügend zur Kenntnis genommen oder respektiert hat, sodass viele begnadete Künstler – gemäss ihrer eigenen Ansicht - um ihre wohlverdienten Meriten betrogen werden. Sie können nicht erahnen wie viele Männer sich lange Haare wachsen lassen – selbst wenn sie eine voll ausgeprägte Glatze haben - oder einen imposanten Bart um als Künstler wahrgenommen zu werden. Frauen kleiden sich schrill oder übertrieben altmodisch, je nach dem, Hauptsache man fällt auf. Leider geht das Outfit nicht unbedingt mit Ingeniosität oder Genialität einher. Da habe ich doch kürzlich einem dieser Pseudokünstler ein Kompliment machen wollen und gesagt, dass ich seine grossen Skulpturen grandios und sehr inspiriert fände. Lakonisch meinte er: „Ach das hier meinen Sie, das ist bloss Schwemmholz.“
Ein weiterer unbekannter Friedhof ist der Friedhof der schlechten Nachrichten.
Schlechte Nachrichten gehören verbannt, am besten noch bevor sie produziert werden. Aber wie es bereits in der Antike Grabräuber gab, so scheinen solche auch in der heutigen Zeit aktiv zu sein, denn anders kann man sich nicht erklären wie Printmedien und Fernsehen, die - um der Quoten Willen - mit Vorliebe schlechte Nachrichten verbreiten, unablässig mit ebensolchen gefüttert werden. Schlechte Nachrichten scheinen ein wesentlich attraktiverer Publikumsmagnet zu sein als gute. Daran sind aber meiner bescheidenen Meinung nach nicht die Nachrichten schuld. Glücklicherweise ist es mittlerweile nicht mehr so wie in der Antike, als der Überbringer schlechter Nachrichten - nachdem seine Botschaft gehört worden war - hingerichtet wurde, sonst hätten unsere Medien kaum mehr eine Daseinsberechtigung. In modernen Zeiten werden die schlechten Nachrichten ihrerseits zu Grabe getragen. Sie sind nämlich in unserer kurzlebigen, auf Glanz und Glorie ausgerichteten Zeit unerträglich geworden, lassen sich nicht mehr mit Glamour und Reichtum oder der Schönheit und Jugendlichkeit vereinbaren.
Am lautesten geht es auf dem Friedhof der katastrophalen Musikstücke zu.
Wenn die Notensetzer einfallslos sind, meinen sie oft, dass ihre Musik aufgewertet werde, wenn sie möglichst laut gespielt wird. Das ist insbesondere bei der Rockmusik der Fall. Immer wieder werden im gleichen Stück dieselben Akkorde wiederholt, die ansatzweise inspirierte Melodie wiedergekaut und aufgewärmt und die gleichen nichtssagenden Texte repetiert. Stumpfsinnig. Es muss aber um der Gerechtigkeit Willen zugegeben werden, dass trotz allem auch sehr viele gute moderne Musik existiert, deren Zuhören ein Genuss ist und die bei Leibe nicht auf den Friedhof gehört. Aber leider bleiben eben die meisten Komponisten - Songwriter nennt man sie heutzutage - in den musikalischen Kinderschuhen stecken. Es gibt eben auch unter den Komponisten Amseln und Spatzen. Solche, die virtuoseste Melodien produzieren und solche, die stets den gleichen langweiligen Refrain in Noten setzen.
Den Friedhof der unvollendeten Gedanken gibt es selbstverständlich auch. Was wollte ich denn dazu gerade schreiben? Vielleicht ein andermal.
Der interessanteste aber auch intrigierendste ist jedoch der Friedhof des unnützen Wissens. Er ist gigantisch. Man Ein unüberschaubares Meer an offenbar Nichtwissenswertem. Aber wer entscheidet letztendlich, was unnützes Wissen ist? Welches Wissen begraben werden kann? Was man getrost aus dem Pool des Wissens kippen kann? Für Banker zum Beispiel ist dies alle Weisheit, die nicht letztendlich der Geldvermehrung dient, während Politiker alles begraben, was nicht zu Wählerstimmen führt.
„Was wollen Sie denn mit den Blumen hier?“ - „Ich bin der Friedhofsgärtner.“ - „Aber warum denn Blumen auf dem Friedhof des unnützen Wissens?“ - „Na wissen Sie, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Wenn man gewissem Wissen, das leichtfertig als unnütz abgetan wurde, die ihm gebührende Ehre erbietet, so merken die Leute vielleicht früher oder später, dass es so unnütz gar nicht ist und unter anderem bei „Wer wird Millionär?“ sogar gewinnbringend angewandt werden kann.“
Falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser, es nicht bis zu diesem Friedhof schaffen, so kann ich Ihnen „Das ultimative Handbuch des nutzlosen Wissens“ von Hanswilhelm Haefs empfehlen.