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Kolumnen

Die etwas andere Globalisierung

Am alten Hafen von Marseille steht auf der westlichen Mole ein kleines, längliches Gebäude, die „Intendence Sanitaire“. Die 1719 erbaute Einrichtung diente Ärzten dazu ankommende Matrosen und Fahrgäste von Schiffen, die aus fremden Ländern nach Marseille fuhren, bezüglich Gesundheit respektive Seuche zu untersuchen und notfalls in Quarantäne zu stecken. Die Marseiller Intendence Sanitaire war über Jahrzehnte das klassische Modell für die sanitarische Organisation in zahlreichen Häfen des Mittelmeeres. Die Menschen haben sich also bereits sehr früh, will sagen vor 300 Jahren bereits, Gedanken über die Beeinflussung ihrer Gesundheit durch importierte Krankheitserreger gemacht und diesbezüglich Massnahmen ergriffen.
„Globalisierung“ sagte Robert D. Kaplan kürzlich in einem Interview, „ist nichts anderes als Containerschiffahrt.“ Das wieerum besagt nicht anderes, als dass Waren von Australien nach Amerika, von Amerika nach Europa, von Europa nach Afrika, von Afrika nach Asien und von Asien nach Australien verschifft werden. Meiner bescheidenen Meinung nach ist die kontinuierliche Intensivierung des Luftverkehrs mit den zunehmend fallenden Preisen und die damit verbundene rege interkontinentale Reisetätigkeit ebenfalls ein nicht zu vernachlässigender Faktor der Globalisierung, denn Globalisierung kann ja nicht nur als ökonomischer Faktor betrachtet werden. Ob die Globalisierung ein Segen oder ein Fluch ist, bleibt im Moment noch eine offene Frage.
Die Bücher über den Entscheid sind immer noch offen. Auch bei Flora und Fauna gibt es Gewinner und Verlierer der Globalisierung je nach Sichtweise. Vor etwa zwei Jahren zeigte einer der Buchsbäume in Nachbars Garten ausgedehnte braune Areale. Die Konsultation eines Experten ergab, dass es sich um einen Befall durch den Buchsbaumzünsler handelte. Letzterer ist ein ostasiatischer Kleinschmetterling aus der Familie der Crambidae, der zu Beginn dieses Jahrhunderts nach Mitteleuropa eingeschleppt wurde. Die Larven verursachen Kahlfrass an verschiedenen Buchsbaum-Arten, vor allem an dem hier beheimateten gewöhnlichen Buchsbaum (Buxus sempervirens), weshalb der Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) als invasives Neozoon gilt. Als Neozoon wird ein Tier bezeichnet, das durch bewusste oder unbewusste direkte oder indirekte Hilfe des Menschen in Gebiete eingebracht wurde, in denen es ursprünglich nicht vorkam. Diese gebietsfremden Tiere sind zum grössten Teil harmlos wie etwa die Bisam-Ratte oder der Waschbär, aber einige dieser Neozoen verhalten sich invasiv, indem sie verwildern, sich stark ausbreiten und die einheimische Fauna verdrängen. Bestimmte Neozoen sind gesundheitsschädigend, schleppen Krankheiten und Parasiten ein oder sie können wirtschaftliche Schäden anrichten. Solche Exoten werden deshalb als invasive Neozoen bezeichnet. Dazu gehören iun unseren Breitengraden zum Beispiel der asiatische Marienkäfer, der Kartoffelkäfer, die Körbchenmuschel, die Wandermuschel, der rote amerikanische Sumpfkrebs und die Schmuckschildkröte. Im Garten meiner Schwiegereltern steht ein attraktiver Strauch mit länglichen wunderschönen Blüten. „Ein Sommerflieder.“ hatte mir mein Schwiegervater eröffnet. „Er ist pflegeleicht und gedeiht auch ohne besondere Pflege prächtig.“ Diesbezüglich musste ich ihm absolut zustimmen. Aber der Sommerflieder, auch Schmetterlingsbaum genannt, sei in Tat und Wahrheit ein Schädling stand kürzlich in der Zeitung, denn er gehöre zu jenen Pflanzen, die bei uns die Artenvielfalt vermindern, weil sie einheimische Pflanzen verdrängten. Zu diesen Invasoren gehören offenbar auch die Kanadische Goldrute, der Kirschlorbeer, der Essigbaum und die Neubelgische Aster.
In vielen Fällen bleibt dieses invasive Gehabe für lange Zeit unerkannt, weil diese Invasionen nicht so aggressiv verlaufen wie diejenigen von Napoleons Armeen. Pflanzen, die sich in Gebieten ansiedeln, in denen sie zuvor nicht heimisch waren, werden als Neophyten bezeichnet. Neophyten sind für eine Vielzahl von Ausrottungen oder Massenvernichtungen verantwortlich. Geomyces destructans zum Beispiel führt zum sogenannten „white nose syndrome“, das für den Tod Hunderttausender amerikanischer Fledermäuse verantwortlich ist, während der Pilz für die in Europa heimischen Fledermausarten ungefährlich ist. Das Auftreten eines Chytrid-Pilzes, Batrachochytrium dendrobatidis mit Namen, der ursprünglich in Surinam beheimatet war, hat zu einer gigantischen Dezimierung der Amphibien im Amazonasgebiet geführt. Das wissen wir, weil es Forscher gibt, welche sich die Mühe machen, die Frösche in diesem Bereich der Erde zu zählen. Ein anderer Pilz ist drauf und dran in Europa die Salamander auszurotten. Die Platanenwelke wiederum ist eine für diese Bäume tödlich verlaufende Krankheit. Sie wird ebenfalls von einem Pilz - Ceratocystis fimbriata f. sp. platani - hervorgerufen, welcher erstmals 1929 in den USA nachgewiesen wurde. Dort scheint die Krankheit ihren Ursprung zu haben. Der Erreger wurde wahrscheinlich während des zweiten Weltkrieges nach Europa eingeschleppt. Cryphonectria parasitica schliesslich, der Verursacher der Braunfäule der amerikanischen Kastanienbäume, wurde vermutlich aus Japan dorthin importiert. Wie Sie sehen, herrscht auch ein reger pflanzlicher und zoologischer globaler Verkehr. Sporen, Pilze, Tiere, Samen und Pflanzen reisen sowohl im Handgepäck, in Schiffsrümpfen der weltumspannenden Hochseeflotte, in Containern, die in die entlegendsten Häfen transportiert werden aber auch in Rucksäcken, Luftfracht oder als Parasiten auf absichtlich über die Meere beförderten Tieren.
Leider gibt es für Flora und Fauna keine „Intendence Sanitaire“. Ihr Schicksal scheint uns generell Wurst zu sein.