Nasenstüber

Kolumnen

Journalismus heute

Die klassischen Medien haben ausgedient, nur haben die es bislang noch nicht richtig zur Kenntnis genommen. Insbesondere junge Menschen informieren sich zusehends auf Social Media – oder aber sie konsumieren gar keine Informationsmedien mehr. Das einst federführende und legendäre Facebook hat sich irgendwie selbst ins Offside manövriert. Es scheint eine Tatsache zu sein, dass die Jungen Facebook boykottieren, weil die Alten dort ihr Essen, die Fotos ihrer Hunde und Wellensittiche, nichtssagende Lebensweisheiten, Glückskekssprüche und andere belanglose Dinge posten. Der Messengerdienst Telegram ist zum Übungsgebiet der Massnahmenkritiker, Antisemiten und Impfgegner geworden. Twitter wiederum ist so etwas wie ein virtueller Stammtisch. In dieser Medienblase ist ein Schlagabtausch zwischen Teilnehmern Programm und sind verbale Entgleisungen an der Tagesordnung.
Bleiben von den verbreiteten Plattformen noch Instagram und Tiktok. In einem unlängst veröffentlichten Interview hat die preisgekrönte Social-Media-Reporterin Melisa Erkurt - Journalistin des Portals «Die Chefredaktion», das insbesondere auf Tiktok aber auch auf Instagram präsent ist - erwähnt, dass selbst Instagram für die wirklich Jungen «zu alt» sei. Die 14- bis 18-Jährigen seien auf Tiktok. Diese Altersgruppe spreche am besten auf kurze und humoristische Clips an. Für die zugehörige Reportage würden sich diese Userinnen und User dann bestenfalls von Tiktok auf Instagram klicken. Die Tiktok-Beiträge seien also eine Art Teaser für deren Insta-Storys. Wenn junge Menschen etwas interessiere, so würden sie dran bleiben.
«Am meisten interessieren unsere Zielgruppe zurzeit Storys über Diskriminierungserfahrungen aufgrund des Geschlechtes, der sexuellen Orientierung und Beiträge über soziale Gerechtigkeit», betonte Erkurt. Sie frage manchmal, ob die Redaktion nicht mal etwas Leichtes machen wolle? Aber die Jungen sähen das nicht so. Das seien nicht primär schwere Themen, sondern einfach aktuelle. Die zentrale Frage im erwähnten Interview lautete: «Wie informiert man Jugendliche in Zeiten von Fake News und Hatespeech?» Erkurt meint, dass Transparenz der Schlüssel sei, um die Jugendlichen anzusprechen und überzeugen zu können. Transparenz entspreche dem Wunsch unseres Publikums, dass Journalistinnen und Journalisten sich und ihre Arbeit verständlicher erklären. Es sei wichtig, zu zeigen, wie man überhaupt auf ein Thema oder zu einer Geschichte gekommen sei. Komme hinzu, dass die Distanz zu klassischen Medien bei vielen jungen Leuten darin gründe, dass sie denen schlicht weg nicht vertrauen. Die häufigste Frage, die ihr gestellt werde, sei, wie unabhängig sie seien. Medienmacher und Starreporter der New York Times, Benjamin Smith, hat sich in einem Interview betreffend der Zukunft des Journalismus kürzlich in eben diesem Sinne geäussert und alle überrascht, indem er bei der New York Times kündigte und verkündete, ein «Globales Medium» aufbauen zu wollen. In Zeiten der Omnipräsenz von Facebook, Instagram und Twitter plane er eine Publikation, die von Sozialen Medien unabhängig sein wolle.
Wie dargestellt, ist Instagram vor allem bei jungen Nutzerinnen und Nutzern erfolgreich. Mehr als eine Milliarde Personen sind registriert. Gut 31 Prozent davon sind zwischen 18 und 24 Jahre alt, aus der Kategorie der 25- bis 34-Jährigen stammen knapp 43 Prozent. Das ist eine aktive und begeisterungsfähige Gruppe – und darum ist sie besonders attraktiv für die Betreiber der Plattform und für die Werber. Die Jugend ist dementsprechend umkämpft. Auch Tiktok bemüht sich um diese Zielgruppe. Die chinesische Videoplattform hat ebenfalls die Grenze von einer Milliarde Nutzern geknackt. Der Messenger Snapchat hat im Vergleich dazu zwar «nur» 500 Millionen Nutzer, doch die sind ausgesprochen loyal. In einer Umfrage eines Finanzdienstleisters gaben 35 Prozent der Teenager an, Snapchat sei ihre Lieblingsplattform. Tiktok kam auf 30 Prozent, Instagram bloss auf 22 Prozent – Tendenz rückläufig
Pinterest seinerseits ist das „Go-To“ der Sozialen Netzwerke, um sich in kürzester Zeit neue Fähigkeiten anzueignen. Nutzer und Nutzerinnen zeigen sich gegenseitig, wie man Kleidungsstücke umnäht, Gourmet-Gerichte zubereitet oder die Wohnung „aufmöbelt“. Rund 431 Millionen Personen suchen auf dem bildbasierten Netzwerk neben kreativer Inspiration auch zunehmend nach Inhalten, die ihr Wissen erweitern oder Rat geben. Beliebt sind zum Beispiel informative Pinnwände zu Lernstrategien oder Stressmanagement.
Weil die Generation Z, wie erwähnt, ihre Informationen fast ausschliesslich aus dem Internet bezieht, so sind diese «digital natives» besonders anfällig für die aktuellen Desinformations-Kampagnen. Dies kommt ja nicht von ungefähr, denn die selbstreferenzielle Internet-Community bestätigt sich regelmässig selber.
„Dass wir Blicke hinter die Kulissen zulassen, schafft Glaubwürdigkeit. Und schliesslich halte ich Transparenz für ein sinnvolles Geschäftsmodell,“ meint Erkurt. Es stimmt: Man kann sich auf den Social Media jederzeit das Mikro nehmen, niemand muss mehr warten, bis sich eine Journalistin oder ein Journalist seiner erbarmt. Die Situation hat sich komplett geändert. Wenn etwa eine Influencerin in traditionellen Medien interviewt wird, mit der Art und Weise wie sie dargestellt wird aber nicht zufrieden ist, dann kann sie sich wehren, indem sie dann in ihrem Medium, sei es Twitter, Instagram oder eine andere soziale Plattform, klarstellt, wie es wirklich war. Dort findet sie auch eine bessere Resonanz. Es ist mittlerweile eine Tatsache, dass ein Influencer heutzutage mehr Menschen erreichen kann als ein klassisches Nachrichtenmedium. Zudem ist es wichtig, dass junge Leute, also eigentlich Mitglieder der gleichen Altersgruppe die Beiträge verfassen und präsentieren. Dies findet am meisten Zustimmung.
Die jüngere Generation interessiert sich wie erwähnt vor allem für soziologische, interkulturelle und sexistische Belange. Reisserische Themen wie Desaster, Unheil, Tragik und Terror scheinen irgendwie ausgelaugt und abgedroschen zu sein. Offenbar sind die Jungen der Mitteilungen betreffend Intrigen, Skandale, Aufruhre und Affären sowie all der anderen Schreckensnachrichten überdrüssig.
Aber nicht nur die Inhalte, Thematik und Interessensgebiete verlieren sich zusehends in der Bedeutungslosigkeit. Auch die Bearbeitung sowie die Qualität der Meldungen und Nachrichten lassen immer mehr zu wünschen übrig. Die Schlagzeilen und Artikel strotzen nur so vor orthographischen und grammatikalischen Fehlern. Markus Somm, seines Zeichens Journalist und Verleger, hat kürzlich in einem Aufsatz zum Thema wie neutral unsere Schule sei, erwähnt, dass er seit Jahren junge Journalisten anstelle, Bewerbungen sichte und Gespräche führe, wobei er feststelle, dass die jungen Leute ihr Handwerk nicht mehr beherrschen – und zwar im grundsätzlichen Sinne. Sie hätten Mühe, einen Text ohne orthografische Fehler zu verfassen, sie wüssten nicht, wie man eine Argumentation aufbaut. Er meint: «Die Schule setzt auf jeden Fall die falschen Prioritäten. Bevor unsere Kinder sich über den Klimawandel den Kopf zerbrechen oder sich an der geschlechtergerechten Sprache die Zähne ausbeissen, sollten sie Grundwissen erwerben und Grundfertigkeiten meistern. Lesen, Schreiben, Rechnen.» Ganz abgesehen davon, liest man heute in ein und demselben Artikel Konträres, Gegensätzliches, Widersprüchliches oder Diskrepantes, nennen Sie es wie Sie wollen. Die Journalisten lesen offenbar ihre Beiträge nicht mehr kritisch durch, ein redaktionelles Überarbeiten liegt inzwischen in weiter Ferne. Konzise, kohärente Mitteilungen findet man praktisch kaum mehr.
Damit sind wir bei einer ganz neuen Art von Journalismus: Dem Roboterjournalismus. Damit ist die automatisierte Textproduktion gemeint. Algorithmen können nämlich strukturierte Daten zu einem logisch kohärenten Text zusammenbauen. Zahlreiche Nachrichtenagenturen und Redaktionen greifen mittlerweile auf Computerprogramme zurück, die automatisiert standardisierte Finanz-, Sport- oder Wetterberichte generieren. Doch Computer schreiben nicht nur Artikel, sondern wählen auch aus und das ist des Teufels. Apple News eignet sich diesbezüglich bestens als Untersuchungsgegenstand, weil die «Trending Stories» dort algorithmisch und die «Top Stories» von Menschen kuratiert werden. Wie eine Analyse ergab, wählen menschliche Redakteure deutlich mehr Quellen aus. Algorithmen verzerren demnach die Wahrnehmung und jazzen Randthemen hoch. Damit verändern sie die Struktur des Journalismus insgesamt. Es ist klar, dass die Algorithmisierung der Nachrichtendistribution langfristig zu einer zunehmenden Boulevardisierung respektive zu einer Intensivierung des Boulevardjournalismus führen wird. Hoffen wir mal, dass die Kuratierung der News durch Menschen nicht völlig aufs Nebengeleise gerät oder gar ganz von Maschinen verdrängt wird.
Der Herausgeber der Weltwoche, Roger Köppel, hat einmal geschrieben: «Journalismus beginnt dort, wo man ausspricht, was die Meinungsmafia nicht hören will.» Man könnte ihm durchaus Recht geben.
Dass die heutigen Journalisten immer wieder übers Ziel hinausschiessen, zeigt ein Interview mit Gabriele Krone-Schmalz, ihres Zeichens Professorin für Journalismus, die dort im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine kürzlich sagte: «Mich wundert die Chuzpe, mit der eine Berufsgruppe, deren Mitglieder weder gewählt noch in irgendeiner Form bevollmächtigt sind und die sich auch nicht im demokratischen Sinne verantworten müssen, versucht Politik zu machen. Ich halte das für inakzeptabel.» Ich auch!
Auch wir Blogger, Kolumnisten - oder wie auch immer Sie uns nennen wollen - sollten eine Vorbildfunktion übernehmen und müssen unbedingt unseren Anteil dazu leisten, einerseits die Sprache im Internet nicht vollkommen verrohen und vor die Hunde gehen zu lassen und andererseits nicht Widersinniges oder Unlogisches zu publizieren, (wo doch unsere Beiträge so zahlreich und intensiv gelesen werden, haha).