Nasenstüber

Kolumnen

Neue Jahreszeiten und Saisons

Leseprobe aus "NASENSTÜBER 3 - Fragmente"

(Siehe "Bücher")

Da haben wir also die Haupt-, Neben-, Vor-, Nach-, Übergangs- und die Zwischensaison. Wenn Sie der Meinung sind, die Palette der Saisons sei mit der Erweiterung von Jagd-, Ski-, Bade-, Kirschen-, Aprikosen- und so weiter sowie Grillsaison erschöpft, so sind Sie ungenügend informiert, denn seit geraumer Zeit haben wir nicht mehr nur einfach die Jahreszeit Sommer, sondern auch die Sommersaison. Und es kommen laufend neue hinzu. (Nebenbei bemerkt: Für Bier und Wein ist immer Saison, auch für Schokolade.) Zudem behaupten einige Leute hartnäckig, es gebe keine vier Jahreszeiten mehr. Nur noch kalt-nasse und heiss-trockene Perioden. Dabei ist es sogar so, dass zum Beispiel die Basler behaupten, bei ihrer berühmten Fasnacht handle es sich um die fünfte Jahreszeit.
Im Folgenden möchte ich Ihnen aber gerne verraten, dass insbesondere die Mode, die Werbung und der Tourismus neue Saisons und Jahreszeiten kreiert haben.
„Freuen Sie sich auf den Vorfrühling,“ heisst es da etwa in einer Reklame für Autos. Den Frühling kann man offenbar am besten geniessen, wenn man sich im Vorfrühling ein neues Auto anschafft. Neben dem Vorfrühling keimt neuerdings aber schon eine spezifischere Bezeichnung. So las man in einem Newsportal, das sich als Qualitätsmedium versteht: „Es mag daher sein, dass schon jetzt im nahöstlichen Untergrund ein «Vormärz» schlummert, der den Keim eines zweiten Frühlings in sich trägt.“ Sie sehen, die neuen Saison spriessen wie Unkraut.
Auch der Spätherbst wurde uns beschert. Diese Bezeichnung ist wahrscheinlich auf dem Mist der Tourismusindustrie gewachsen, denn mit lockenden, verführerischen Angeboten für Reisen im Spätherbst verführt sie Tausende Reislustige. Der Begriff Nachsaison wird in letzter Zeit tunlichst vermieden, denn Nachsaison tönt so ein bisschen nach „Reisen für das kleine Budget“, „Da sind die schönen Tage dann aber vorbei“ oder „Ausflüge für die nichtarbeitende Klasse“. Den Begriffen Frühherbst oder Vorherbst bin ich bis jetzt noch nicht begegnet. (Wahrscheinlich weil sich in dieser Saison kaum jemand ein Auto kauft.) Wenn es einen Spätherbst gibt, so sollte es doch auch einen Frühfrühling geben. Aber davon war bislang auch nirgends die Rede. Die besonders intensive Episode während der warmen Jahreszeit heisst seit eh und je Hochsommer. Das Gegenteil in der kalten Saison wird mit tiefster Winter beschrieben. Höchster Sommer und Tiefwinter gibt es gemäss Duden bislang jedoch nicht. Es ist ein untrügliches Zeichen, dass Hochsommer herrscht, wenn unzählige Modekataloge mit Pelzmänteln und Rollkragenpullovers ins Haus flattern. Aber vielleicht liegt es ja auch an den Konsumenten, dass sie im Hochsommer von warmen Daunenjacken und im tiefsten Winter von Bikinis träumen. Da wäre dann noch die Bezeichnung Mittsommer. Der Terminus steht für Sommersonnenwende. Man spricht auch vom Mittsommertag. Die berühmte Komödie von William Shakespeare „Ein Sommernachtstraum“ heisst ja im Originaltitel: „A Midsommer nights dream“. Diesen Zeitpunkt im Jahr haben die Modedesigner offenbar noch nicht für sich entdeckt.
Aber halt, da schleicht sich prompt noch eine weitere neue Saison ein. „Wir gehen davon aus, dass die Welle im Frühhochsommer vorbei ist,“ wurde von einem Experten im Zusammenhang mit der Coronavirus-Epidemie geäussert. Warten Sie es nur ab, es kommen ständig neue Saisons hinzu. Die unverfrorene Vorwegnahme der Modesaison könnte man auch „Anticipated Fashion“ nennen, denn die Frühjahrskollektion wird im Herbst vorgestellt, die Kataloge der Herbstmode erscheinen Ende Winter und so weiter. Ein weiterer aktueller Begriff aus der umtriebigen Welt der Mode ist der Ausdruck „Fast Fashion“. Der Begriff bezeichnet ein Geschäftsmodell des Textilhandels, bei dem die Kollektion laufend geändert und die Zeit von den neuesten Designs der Modeschöpfer zur Massenware in den Filialen stark verkürzt wird. Da ist es nur logisch, dass die Werbung dazu stets neue Saisons herbeizaubern muss, denn Kleider werden ja – ausgenommen das kleine Schwarze – je nach Saison getragen. Aber auch dies ist nicht mehr sakrosankt. Ebenso sicher kann man sein, dass Neujahr ist, wenn die aktuelle Werbung Osterdekorationen anbietet und nach den Sommerferien glitzern schon die ersten Lametta-Fäden und Christbaumkugeln in den Schaufenstern. Wenn die ersten Blätter fallen, so flattern auch gleich die ersten Broschüren für Kinderspielzeug ins Haus, offenbar, damit die Kleinen genügend Vorlaufzeit haben um sich die aktuellen Sortimente ausgiebig(st) anzusehen und die entsprechenden Bestellungen rechtzeitig sbeim Christkind aufzugeben.
Es kommt jedoch noch dicker: Nicht nur, dass uns stets neue Saisons vorgegaukelt werden, nein auch die Einteilung des Tages erfährt eine grundlegende Restrukturierung. Neben den definierten Begriffen wie Vormittag oder Mitternacht gab es schon bisher einige „Gummibegriffe“ wie zum Beispiel den Terminus „früh“. Dieser war schon seit jeher ein Zankapfel. Für Nachteulen respektive Schlafmützen bedeutet er eine grässliche, unzumutbare Tageszeit, die stets mit entsprechenden Mühsalen und Unannehmlichkeiten verbunden ist, für die Frühaufsteher, die sogenannten Lerchen, den perfekten, nicht zu missenden Zeitpunkt des noch jungen Tages, der alle Optionen offenhält. Auch den Begriff „frühmorgens“ kennen wir ja schon länger. Er ist etwa zur selben Tageszeit anzuberaumen wie „im Frühtau“. Nun aber las ich kürzlich im Zusammenhang mit einer Fernsehsendung eine brandneue Bezeichnung einer Tageszeit, nämlich „Hauptabend“. Gewiss man kann sich in diesem Kontext vorstellen, dass damit die Hauptsendezeit am Abend gemeint sein muss, also etwa die Zeitspanne zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr, wenn im Prinzip auch die älteren Semester noch zugucken, falls sie nicht schon im Fernsehsessel eingeschlafen sind, und auch jüngere Genrationen sich noch vor dem Fernseher lümmeln, bevor sie sich ins Partygetümmel stürzen. Da fragt man sich dann aber: Gibt es auch einen Nebenabend und wenn ja, wann ist dessen Zeitpunkt gekommen? Wäre das vor oder nach dem Hauptabend oder zu beiden Zeiten?
Jetzt weiss ich mit dem besten Willen nicht, ob ich Ihnen einen sonnigen Spätfrühling, einen unvergesslichen Vorherbst, einen schneereichen Mittwinter oder einfach einen wunderschönen Frühabend wünschen soll.