Kurz oder Die moderne Litfasssäule
Der Schreibstil eines Thomas Mann hat definitiv ausgedient. Kurz ist die aktuelle, moderne Devise. Kurzwellen waren schon in meinen jungen Jahren die besseren Radiowellen als Mittel- und Langwellen. Ultrakurzwellen, abgekürzt UKW,
die besten Radiowellen schlechthin. „In der Kürze liegt die Würze“ hatte einer meiner Lehrer am Gymnasium ad nauseam repetiert und zwei beliebte Schlagworte zu jener Zeit lauteten: „Kurz und bündig“, respektive „Kurz und schmerzklos“. Ein guter Freund, der ellenlange Geschichten zu erzählen weiss, endet jeweils mit der Aussage: „Der langen Rede kurzer Sinn, ...“ und fasst seine Ausschweifungen konzis zusammen
Der Schreibstil eines Thomas Mann hat definitiv ausgedient. Kurz ist die aktuelle, moderne Devise. Kurzwellen waren schon in meinen jungen Jahren die besseren Radiowellen als Mittel- und Langwellen. Ultrakurzwellen, abgekürzt UKW, die besten Radiowellen schlechthin. „In der Kürze liegt die Würze“ hatte einer meiner Lehrer am Gymnasium ad nauseam repetiert und zwei beliebte Schlagworte zu jener Zeit lauteten: „Kurz und bündig“, respektive „Kurz und schmerzklos“. Ein guter Freund, der ellenlange Geschichten zu erzählen weiss, endet jeweils mit der Aussage: „Der langen Rede kurzer Sinn, ...“ und fasst seine Ausschweifungen konzis zusammen.
Aber kurz ist genau genommen ein ungenaues Adjektiv. Wie kurz ist denn kurz? Kurz, kürzer, am kürzesten. Ironischerweise ist die Bezeichnung für das Kürzeste am längsten!
Meine Gedanken schweifen ab, zu Ernst Theodor Amandus, obwohl ich eigentlich etwas über Twitter zwitschern möchte. Die Rede ist zunächst also von Herrn Litfass. Ernst Theodor Amandus Litfaß - wie sein Name in Deutschland geschrieben wird - wurde 1816 in Berlin geboren. Nach einer Lehre als Buchhändler und dem nachmaligen Eintritt in das stiefväterliche Druck- und Verlagshaus übernahm er nach dessen Tod das Geschäft im Jahre 1846 vollends. Durch die Herausgabe des „Deklamatoriums“, mit dem Untertitel „Eine Mustersammlung ernster und heiterer Vortragsdichtungen aus der Weltliteratur“, - einer fortgesetzt erscheinenden Auswahl Dichtungen zum Vortrag in öffentlichen und privaten Gesellschaften - gewann das Unternehmen viele Kunden und wurde zu einer wahren Goldgrube. Nach der Geschäftsübernahme wurde Litfass mit der Formatvergrösserung und Ausstattung von Anschlagzetteln, die danach Litfasszettel genannt wurden, populär. Aber jeder Aushang wurde in der Regel rasch von einem anderen überklebt. Jedes neu angebrachte Plakat lief Gefahr, mitsamt seiner Werbebotschaft sofort mit einer neuen Annonce zudeckt zu werden. Um der umsichgreifenden Wildplakatierung entgegenzuwirken, entstand damals die Idee Plakatsäulen aufzustellen. Litfass liess diese Idee patentieren. Anno 1854 wurde Litfass das Recht zur Aufstellung von 150 „Annonciersäulen“ im Stadtgebiet zugesprochen. Das von der Stadt Berlin erlassene Monopol für die Aufstellung seiner Säulen bekam Litfass jedoch nur unter der Auflage, auch die neuesten Nachrichten zu publizieren. Am 1. Juli des nachfolgenden Jahres präsentierte Litfass die neuen Werbeträger der Öffentlichkeit. Endlich konnten sich Unternehmen verbindlich und über einen festgelegten Zeitraum Werbeflächen sichern. Behörden ihrerseits nutzten die mittlerweile „Litfasssäulen“ genannten Anschlagobjekte für Bekanntmachungen. Zudem wurden die Annonciersäulen zur Ankündigung von Theaterstücken, Varietés, Revus und Ausstellungen genutzt.
Bei der Litfasssäule handelt es sich um eine zylinderförmige, hohle Säule, wobei zwischen einer Allgemeinstelle (Litfasssäule mit mehreren Werbetreibenden gleichzeitig) und einer Ganzsäule oder Ganzstelle (Litfasssäule mit einem einzigen Werbetreibenden) unterschieden wurde.
Die Rennfahrer der heutigen Zeit, also die Auto-, Velo- und Skirennfahrer erinnern mich stark an solche Allgemeinstellen. Mit den unzähligen, verschiedensten Reklamen auf Mütze, Anzug und Handschuhen sehen sie tatsächlich aus wie lebende Litfasssäulen.
Über viele Jahr hinweg war das Fernsehen das Werbemedium schlechthin. Aber mit dem Tsunami Internet, der über uns hinweggefegt ist, hat uns die Werbung auch am Arbeitsplatz eingeholt. Die Banners und wie all die Werbeflächen auf den Internetseiten heissen, sind von unseren Bildschirmen nicht mehr wegzudenken. Man kann kaum zwei zusammenhängende Sätze lesen, ohne dass man nicht von Annoncen und Anzeigen unterbrochen wird. Sozusagen über Nacht haben dann die sozialen Medien, allen voran Facebook, die Werbehoheit für sich in Anspruch genommen.
Der Mikrobloggingdienst Twitter hinkt diesbezüglich weit hinter her, wobei wir aber endlich beim Thema „kurz“ respektive „Twitter“ wären, denn Twitter ist ein „tool“ zur Verbreitung von kurzen Textnachrichten, sogenannten „Tweets“. Sie dürfen die Summe von 280 Zeichen nicht überschreiten. War die Plattform zunächst als Kommunikationsmittel für Privatpersonen gedacht, so nutzen im Sog des Erfolges auch Museen, Theater, Orchester, soziokulturelle Zentren, Organisationen und Unternehmen immer häufiger Twitter. Auch sie haben offenbar von Litfass gelernt.
Nachrichtenagenturen sowie renommierte Medien, wie die BBC und das ZDF, haben ebenfalls begonnen Twitter zu benutzen. Durch seinen Kurznachrichten-Charakter sind Hinweise auf aktuelle Ereignisse bei Twitter oft sogar schneller zu finden, als redaktionell bearbeitete Medien dies leisten könnten. Sportler und Showbusiness-Stars haben Millionen von sogenannten Followers auf ihrem Konto. Man könnte von einem Twittergewitter sprechen. In neuerer Zeit sind auch Politiker dazu übergegangen sich der Vorteile dieses Kurznachrichtendienstes zu bedienen. Amerikanische Regierungsmitglieder haben wiederholt schon als Erstes via Twitter erfahren, dass sie offenbar von Präsident Trump abgesetzt worden waren. Man kann den twitternden Politikern aber immerhin zugutehalten, dass sie im Moment überhaupt noch schreiben. Twitter behandelt jedoch den Inhalt, den sogenannten „Content“, völlig gleichwertig, egal ob die Aussagen stimmen oder nicht. Im Zeitalter der „fake news“ sind diese virtuellen Anschlagbretter deshalb brandgefährlich.
Aber Text ist ja eh eine aussterbende Kommunikationsform. Aktuell werden vornehmlich nur noch Fotos und Videos ausgetauscht. Die kürzeste Form der Kommunikation wurde schliesslich mit der Einführung der Emojis lanciert. Emojis, japanisch für Bildschriftzeichen, treten in Form eines Piktogramms oder Ideogramms auf. Sie werden insbesondere in SMS und Chats eingesetzt um längere Begriffe zu ersetzen.
Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis uns zum Beispiel eine Steuererhöhung, Rentenkürzung oder Auflösung eines Arbeitsverhältnisses per Twitter und Emoji mitgeteilt werden, denn es gibt mittlerweile 3019 Emojis. Wer trotzdem noch ein Zeichen vermisst, kann seinen Vorschlag online einreichen.
Nach den Hieroglyphen der alten Ägypter sind wir über den kulturellen Höhenflug der verschiedensten Sprachen und Schriften mit ausserordentlichen, genialen und inspirierten Dichter respektive Autoren wieder bei den Bildzeichen gelandet. Bloss diesmal bei den primitiven Emojis, aber die versteht man dafür sowohl in Indien, wie auch in Russland oder Griechenland.
Apropos kurz: Die meisten unserer heutigen Wahrheiten haben so kurze Beine, dass sie geradeso gut Lügen sein könnten, Reden auf Vegetarierbanketts sind erfreulich kurz, weil man Angst hat, dass sonst das Essen verwelkt und Spinat schmeckt am besten, wenn man ihn kurz vor dem Verzehr durch ein grosses Steak ersetzt.