Nasenstüber

Kolumnen

Wandern statt Action

Es ist ein wunderschöner Sonntagnachmittag. In den Städten herrscht eine schier unerträgliche Hitze aber in der Höhe, genau gesagt auf 1800 Meter über Meer - wo ich mich gerade befinde - ist die Temperatur herrlich angenehm und es weht ein laues Lüftchen. Die Tyrolienne von der Bergstation der Seilbahn 500 Meter hinunter zum tiefblauen Bergsee – heisst hier „Zipline-Flyer“ hat Hochsaison. Ein etwas älterer Berggänger - das könnte durchaus ich sein - schaut sich interessiert die Tafel über die hier oben anzutreffenden Bergblumen an, während um ihn herum das Gejohle der zum See hinunter sausenden Menschen keinen Unterbruch duldet. Er wanderte ein paar hundert Meter dem türkisblau schimmerden Bergsee entlang, wo ihn das überkandidelte Geschrei, das Zetermordio der Kinder im „Adventure Park“ empfingen. Er hatte sich schwer getäuscht, denn er dachte hier wäre es etwas besinnlicher. Gestern war er im Appenzellerland, wo ihn das Gekreisch und die Freudenschreie der Besucher, die rasant die Sommerschlittelbahn hinunter kurvten, fast die Besinnung raubten, während er versuchte die Spitzen des unglaublich schönen Bergpanoramas zu bestimmen.
«Action statt Wandern – so machen Ferien in den Bergen Spass » war kürzlich in einem Schweizer Printmedium zu lesen, mit dem Zusatz: « Immer mehr Vergnügungsparks in den Alpen sorgen für Nervenkitzel.» Der Journalist meinte in seinem Artikel Kinder und Teenies wünschten sich Bergerlebnisse mit Tempo. Immer mehr alpine Destinationen zeigen mit Funparks, wie es geht und wie man junge Leute auf den Berg lockt. Action und Abenteuer stehen dank Flying Fox, Tree Tents, Seilparks und Rodelbahnen im Vordergrund. Da komme gewiss keine Langeweile auf.
Jetzt wo die chinesischen Touristenmassen ausbleiben, müssen die Bergbahnen und die Touristenindustrie wohl oder übel eine andere Zielgruppe anpeilen.
Was ist dabei falsch sich nach einer mehr oder weniger anstrengenden Wanderung auf einer Bergwiese mit Energieriegel, Banane und Landjäger aus dem Rucksack zu verpflegen? Doch auch in der Höhe wollen die Menschen heutzutage lieber einen Hamburger oder ein Wiener Schnitzel mit Pommes frites. Wandern boomt zwar gerade sagt man uns. Vielleicht weil es auch dieses Jahr noch etwas kompliziert ist mit Ferien am Meer, dem Dolce far niente am Strand. Aber nur wenn dabei Junkfood und Action angesagt sind. Das Wandern jedoch sollte etwas beschauliches, etwas friedsames , harmonisches und geruhsames sein und bleiben. Beim Wandern entrümpeln sich die Gedanken, werden Inspirationen befreit und Ideen geboren zudem kann man den Kindern die Schönheiten und Besonderheiten der Natur näher bringen. All dies ist in einer aufgekratzten, lauten und turbulenten Umgebung quasi unmöglich.
Immerhin muss man der Tourismusbehörde dieser schönen Bergregion in der Innerschweiz, von der eingangs die Rede war, zugute halten, dass sie in ihrer Werbung neben den oberhalb der Baumgrenze liegenden Attraktionen und Erlebnisparcours für Kinder, Jugendliche und jung Gebliebene auch eine „lockere Wanderung“ für die ganze Familie - nämlich ein Bergblumenpfad - sowie eine „sportliche Familienwanderung“, eine Vier-Seen-Wanderung über einen Pass ins benachbarte Tal, anbietet. Es stimmt meiner Meinung nach schon, was der Aphoristiker Peter Sirius sagte: „Viel wandern macht bewandert“.
Es ist ja schon sehr betrüblich, dass im Zusammenhang mit Wandern, Alpen und freier Natur das Wort Langeweile überhaupt ausgesprochen wird.
Wenn eine Wanderung lediglich dazu unternommen wird, die Zeit tot zu schlagen oder möglichst schnell bei einem Attraktionspark zu landen, dann stimmt etwas grundlegend nicht mehr mit unserer Gesellschaft. Mir tun die vielen Kinder Leid, die zu Lifestyle-Accessoires verkommen sind.
Geht doch bitte mit diesen action-geilen Jungen doch auf die Cartbahnen, die Spielparks, Familienparks mit wilden Attraktionen, zahlreichen Chilbis, unzähligen Vergnügungs-, Erlebnis-, Abenteuer- oder Freizeitparks und lasst uns noch ein bisschen unangetastete Natur, eine kleine Ecke heile Welt!

Übrigens: Wandern ist sehr Corona-konform.