Nasenstüber

Kolumnen

Die elektronische Drehscheibe


Drehscheibe

Die Frau meines Freundes wirkt auf mich wie ein Hub. Als Hub, englisch für Knotenpunkt oder Nabel, bezeichnet man insbesondere Umsteigeflughafen. Luftfahrt-Drehkreuz oder –Drehscheibe, kurz Hub, nennt man nämlich einen Verkehrsknotenpunkt einer Fluggesellschaft oder einer Allianz verschiedener Fluggesellschaften zum Umstieg zwischen Kurz-, Mittel- und Langstreckenflügen.
Kürzlich kam ich mit Silvia, so heisst nämlich die Frau meines Freundes, aus welchen Gründen auch immer, auf Facebook zu sprechen. Ich persönlich weigere mich aus verschiedensten - aus meiner Warte triftigen - Gründen an diesem sozialen Netzwerk teilzunehmen. Da ich also nicht viel über Facebook wusste, ausser dass das Unternehmen an der Börse einige Millionen Dollar wert ist, musste ich eine relativ ausgedehnte Einführung über mich ergehen lassen.

Auf meine Frage was Sie denn so auf ihrer Seite ins Internet stelle (‚poste’ heisse das wurde ich nebenbei belehrt) meinte Silvia: „Zum Beispiel Fotos vom Nachtessen das ich gestern Abend gekocht habe, die Aussicht von meinem Balkon oder was ich halt so im Internet finde, von dem ich denke es sei interessant oder lustig für meine Freunde, wie etwa acht Gründe warum Biertrinken gesund ist oder eine waghalsige Choreographie einer malaysischen Tanzgruppe.“ Ich fand mich in meinem Urteil über dieses soziale Netzwerk bestätigt, denn was sie da berichtete schien mir etwas wenig inspiriert und nicht sehr kreativ, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Diese Aktivitäten hatten tatsächlich eher etwas mit einer Drehscheibe für pfannenfertiges Exotisches oder für sogenannt Lustiges zu tun, denn mit geistreicher oder origineller Schöpfung und Interaktion. „Wenn ich etwas Neues aufschalte, dann bekommen meine Facebook-Freunde sofort einen ‚Alert’, also eine Alarmmeldung (nicht etwa einen Hinweis oder eine Botschaft, Anm. d. V.) und können dann sofort sehen was ich gepostet habe.“ Es kam mir wirklich so vor als erklärte man mir ein digitales Logistikzentrum. Habe ich schon erwähnt, dass Silvia einen Hund hat? Die Freundin meiner Frau hat einen Hund. Er heisst Snoopy. Während einer mehrtägigen Abwesenheit von Silvia hütete freundlicherweise ihre Nachbarin Snoopy. Eines Abends erhielt Silvia einen Anruf, dass das Bild ihres Hundes auf dem regionalen „Pet-Alert“ von Facebook sei. Die Meldung des ausgerissenen Hundes raste im Eiltempo per Facebook durchs Internet. Unbemerkt hatte Snoopy Reissaus genommen. Ein Tierfreund hatte offenbar den einsamen Ausreisser in einem Park fotografiert und auf „Pet-Alert“ digital publiziert. Fast gleichzeitig wie Silvia von dieser Tatsache Kenntnis erhielt, hat ihre Nachbarin aber erfreulicherweise schon mitteilen können, dass der kleine Ausbrecher wohlbehalten wieder zur Dogsitterin zurückgekehrt sei, „Pet-Alert“ sei Dank.
Nun musste ich schnellstens mein negatives Urteil gegenüber Facebook revidieren.
Früher hätte es Hunderte von Anschlägen, will sagen schriftliche Vermissten-meldungen auch Flyers genannt, bedurft, um evtl. nach Tagen ein Resultat respektive eine Antwort zu erhalten. Heute braucht es lediglich einen Zugang zum sozialen Medium und nach einem Mausklick ist schon in der ganzen Gegend das Verschwinden des gerissenen Ausreissers publik.
Wenn ich einen Hund hätte so würde ich mich sofort bei Facebook anmelden und wäre froh über möglichst viele Hubs in meinem Freundes- und Bekanntenkreis.