Cocerokratie oder Wir schnallen den Gürtel weiter
12/03/25 12:41
Leseprobe aus "Mit meinem Senf dazu"
(Siehe Rubrik "Bücher")Natürlich kennen Sie das wohl zur Zeit populärste und seit Jahren erfolgreichste Unterhaltungsgenre im Fernsehen. Es sind in der Tat nicht Krimi, auch nicht Quizshows oder Tiersendungen, sondern: Die Kochshows! Permanent wird in der Flimmerkiste gesotten, geschmort und gebraten. Man kann den Fernseher einstellen wann man will, rauf und runter zappen was das Zeug - gemeint ist die Fernsteuerung – hält, auf jedem x-beliebigen Sender findet man sich als Erstes in einer Studioküche wieder, wo in rekordverdächtigem Tempo Gemüse gehackt, in verschiedensten Pfannen Saucen gerührt und vor allem sehr viel geplaudert wird. Hier wird flambiert, blanchiert, tranchiert, es wird abgeschreckt und aufgedeckt, passiert und serviert.
Während Kochsendungen in früheren Jahren Können und Wissen vermittelt haben, so ist in den letzten Jahren ein Paradigmawechsel eingetreten. Mit der Kommerzialisierung des Fernsehens trat der belehrende Nutzwert zusehends in den Hintergrund, Entertainment wurde wichtiger. Plötzlich wurde an den Töpfen vor allem geschwatzt, getratscht, gequatscht, palavert und parliert. Kochsendungen wurden zu einem Art Subgenre der Talkshow.
Aber der Reihe nach.
Etwa um 1950 fand man sich in einer gewissen Aufbruchstimmung. Mit dem Medium Fernsehen wollte man dem Publikum neue Gerichte oder deren Verfeinerung und Ergänzung näher bringen und das Procedere dazu erklären. Ich sehe darin auch die einzige Rechtfertigung, dass man in der Küche einen Fernseher zu installierte. Die Cocerokratie (vom Lateinischen cocere = kochen) hatte ihren triumphalen Siegeszug begonnen. Damals trugen die Fernsehköche noch weisse Schürzen und einen weissen Kochhut. Eine Kochmütze hat etwas erhabenes, nicht zuletzt durch die erstaunliche Höhe, die so manche erreicht. Die Kopfbedeckung für die Küche zeugte von moralischer Geradlinigkeit dem Gast gegenüber und veranschaulichte Sauberkeit und Pflichtbewusstsein mit jeder plissierten Falte. Die Geschichte bietet eine andere Erklärung an, warum Köche Mützen tragen. Sie lautet dahin, dass König Assurbanipal von Assyrien aus Angst vor Vergiftung den Köchen seines Palastes befohlen habe Kochmützen zu tragen. Die der Königskrone ähnliche Kopfbedeckung sollte die Treue der Köche zu ihrem Herrscher symbolisieren und den Köchen des Palastes als Erkennungszeichen dienen. Absolut richtig ist, dass das Tragen einer Mütze verhindert, dass Haare in die Gerichte geraten und Schweiss vom Gesicht tropft. Schürzen haben die ersten Fernsehköche natürlich auch getragen. Da gab es die Gastro-Latzschürze, die Gastro-Bistroschürze oder den Gastro-Vorbinder. Aber die Kochuniformen haben sich im Laufe der Zeit geändert. Eine Kochmütze respektive Toque trägt heute am Herd kein Schwein mehr. Und es ist ja beileibe nicht so, dass die Nouvelle Cuisine ohne Hitze oder Dampf auskommt. Auch die Zubereitung der nachhaltigen Gerichte der neuen Welle treibt den heutigen Köchen immer noch den Schweiss auf die Stirne. Hinter den initial ebenfalls zwingend weissen Jacken der Köche war ja auch ein Sinn verborgen. Wenn die Jacke von Flecken frei war so wusste man, dass in der Küche sauber gearbeitet wird. In den letzten Jahren haben sich Kochkittel - oder Kochjacken wenn Sie lieber wollen - im existentiellen Schwarz durchgesetzt. Neuerdings mit einem Mao-Kragen, sodass die meisten Köche im Moment aussehen wie chinesische Parteigenossen. Und seien wir ehrlich die schwarzen Kostüme verraten ja nur noch eine Kleckerei mit Rahm- oder Yoghurtsaucen.
Wenn man das Medium Fernsehen im Überblick nimmt, so könnte man meinen, es gäbe nur noch Gourmets auf dieser Welt. Es macht den Anschein, dass jemand der nicht kochen kann - oder wie ich, sogar ein totaler Ignorant und diesbezüglich ein Antitalent ist - einer vom Aussterben bedrohten Minderheit angehört. Man sich ernsthaft fragen: Wer guckt denn all diese Kochshows? Aber eben, die Kochsendungen sind ja offenbar nicht mehr für Lernwillige und Kochamateure konzipiert, sondern sie sollen vor allem möglichst viele Leute unterhalten, beim entsprechenden Sender festhalten - damit ja die Werbung auch an die Adressaten gelangt - und die Zuschauer animieren rasch wieder in dieses Sendegefäss hineinzuschauen. Das alles vermag ja eine Kochshow um einiges besser als eine dröge Anleitung zum Spaghetti-Kochen. Ich befürchte dennoch, dass alle diese Kochshows sehr bald von munteren Videos auf Tiktok, welche sich der Vermittlung von der Zubereitung von Speisen jeglicher Art widmen, abgelöst werden. Aber letztendlich sind alle die auf dem Medium Fernsehen basierenden Kochsendungen viel mehr dekorativ als edukativ. Ebenso wenig wie man Tennisspielen lernt, indem man sich im Fernsehen das Tournier von Wimbledon ansieht, dienen schliesslich auch die Kochshows nicht der kulinarischen Weiterbildung. Zudem ist ja nicht so, dass alle Zuschauer von Kochsendungen danach stante pede in ihre Küche rasen, alle ihre Pfannen aus den Schränken reissen, ihre reichhaltige Gewürzsammlung vor sich auftürmen, mit dem unfassenden Sortiment Kochlöffel jonglieren und sämtliche Kochstellen ihres Herdes auf Volltouren bringen. Gemäss neueren Untersuchungen wollen insbesondere junge Leute heute offenbar nicht mehr selber kochen resp. Kochen lernen. Da fragt man sich dann schon, wen denn alle diese Dutzende von Kochsendungen ansprechen will. Bislang hat keine Studie nachweisen können, dass der Kochshow-Boom zu mehr Selbstkochen geführt hat. Im Gegenteil: Der Markt für Convenience-Food und Lieferdienste für Gerichte wächst unaufhaltsam.
Da ich wie erwähnt offenbar zu jeder Tages- oder Nachtzeit dazu verdammt bin, mir primär eine Kochshow anzusehen wenn ich den Fernseher einschalte, bevor ich einen gescheiten (hm) Film gefunden habe, so muss ich gelegentlich auch etwas weniger Appetitliches oder meinem Geschmack Unzuträgliches mitanschauen und bin dann schon sehr froh, dass mein Fernseher nicht auch noch die Küchengerüche verströmt.
Wie gesagt, sind heutige Kochshows vor allem Eines: Palaver und Selbstinszenierungen narzisstischer Gastronomen respektive Mahlzeitenzubereiter. Sind Sie es auch leid, jedes Mal, wenn Sie hoffen via Television ein herrliches Rezept präsentiert zu bekommen, die Lebensgeschichte einer anderen Person zu hören? Dann kann ich Ihnen wärmstens die No-Bullshit-Küche empfehlen. In No-Bullshit-Küchen findet keine Selbstverherrlichung statt und man wird auch nicht pausenlos belabert. Überdies kochen No-Bullshit-Restaurants sogenannte Hausmannskost oder servieren was eine «gut bürgerliche Küche» zubereitet. Insbesondere finden sich auf der Speisekarte keine „upgespaceten“ Menus, von denen man nicht mal weiss was einem schliesslich vorgesetzt wird.
Kürzlich sagt mir da ein guter Bekannter: „Tja, weisst du mein Guter, die Gespräche beim Golfen drehen sich nicht mehr um politische oder merkantilistische Themen und Seilschaften. Heute tauschen wir Männer uns auf dem Golfplatz Kochrezepte aus.“ Na dann Mahlzeit und Birdie! Offenbar hat die Cocerokratie auch schon die Sportplätze fest im Griff.
Nun erfasst die Cocerokratie auch noch das Kino. Selbst die Filmindustrie wird von ihr nicht verschont. Unter dem Motto: „Kochen, die erotische Kunst“ suggerieren neue Filme, dass was am Herd zubereitet wird, ein Akt der Liebe sei. Eine gute halbe Stunde lang zeigt «La passion de Dodin Bouffant» des französischen Regisseurs Tran Anh Hung erst einmal nicht viel anderes als Menschen, die kochen und essen. Nicht auszumalen welche Sparten die Cocerokratie in Zukunft noch erobern wird.
Falls Sie tatsächlich zu denjenigen gehören sollten, denen das überbordende Angebot an TV-Kochshows nicht genügen sollte, so kann ich Sie damit trösten, dass es in der Tat auch reihenweise Online-Kochkurse gibt. Im Gegensatz zu den aufgezwungenen Kochsendungen im Fernsehen, sind diese freiwillig zu konsumieren. Aber wer weiss: Ebenso wie heute pausenlos unerwünschte Werbung auf zahlreichen von mir aufgerufenen Internetseiten erscheint, so werden wohl in Zukunft nach zwei Zeilen erfolgter Tabellenkalkulation oder 1078 Anschlägen in einer Textverarbeitung Online-Kochkurse auf Ihrem Bildschirm aufkreuzen.
Wer hätte das gedacht? Jetzt beliefert uns auch noch Netflix mit Kochshows.
„Mein Gott, jetzt kocht sie auch noch!“ lautete der kulinarische Aufreger der letzten Tage. Gemeint war Meghan Markle, Herzogin von Sussex, die auf Netflix Gastgeberin einer eigenen Kochshow geworden ist. „Kochen mit Meghan“ oder so wird letztere wohl heissen. Ob Harry die Rolle des Casseroliers zukommen wird ist noch nicht defiinitv entschieden.
Die grandiose Figur «Globi» hatte mich als Knirps mit verschiedenen Büchern in Geographie unterrichtet. Damals nur europaweit. Heute können Kinder mit Globi ferne Länder und Gebiete wie China, den Nationalpark, Rom, den Nordpol und noch vieles mehr kennenlernen. Wenn es in meiner Kindheit den Band „Kochen mit Globi“ oder das Buch «Kochen für Dummies» schon gegeben hätte und ich anstelle von Krimi und Sportsendungen endlich einmal einer der unzähligen Kochsendungen Folge leisten würde, so müsste ich heut nicht tagtäglich Raviolidosen öffnen, präparierte Salate mit Fertigsaucen, Würstchen in länglichen Semmeln mit Mayonnaise und Senf essen und Menus aus Kartonschachteln verspeisen.
Wenn man das Medium Fernsehen im Überblick nimmt, so könnte man meinen, es gäbe nur noch Gourmets auf dieser Welt. Es macht den Anschein, dass jemand der nicht kochen kann - oder wie ich, sogar ein totaler Ignorant und diesbezüglich ein Antitalent ist - einer vom Aussterben bedrohten Minderheit angehört. Man sich ernsthaft fragen: Wer guckt denn all diese Kochshows? Aber eben, die Kochsendungen sind ja offenbar nicht mehr für Lernwillige und Kochamateure konzipiert, sondern sie sollen vor allem möglichst viele Leute unterhalten, beim entsprechenden Sender festhalten - damit ja die Werbung auch an die Adressaten gelangt - und die Zuschauer animieren rasch wieder in dieses Sendegefäss hineinzuschauen. Das alles vermag ja eine Kochshow um einiges besser als eine dröge Anleitung zum Spaghetti-Kochen. Ich befürchte dennoch, dass alle diese Kochshows sehr bald von munteren Videos auf Tiktok, welche sich der Vermittlung von der Zubereitung von Speisen jeglicher Art widmen, abgelöst werden. Aber letztendlich sind alle die auf dem Medium Fernsehen basierenden Kochsendungen viel mehr dekorativ als edukativ. Ebenso wenig wie man Tennisspielen lernt, indem man sich im Fernsehen das Tournier von Wimbledon ansieht, dienen schliesslich auch die Kochshows nicht der kulinarischen Weiterbildung. Zudem ist ja nicht so, dass alle Zuschauer von Kochsendungen danach stante pede in ihre Küche rasen, alle ihre Pfannen aus den Schränken reissen, ihre reichhaltige Gewürzsammlung vor sich auftürmen, mit dem unfassenden Sortiment Kochlöffel jonglieren und sämtliche Kochstellen ihres Herdes auf Volltouren bringen. Gemäss neueren Untersuchungen wollen insbesondere junge Leute heute offenbar nicht mehr selber kochen resp. Kochen lernen. Da fragt man sich dann schon, wen denn alle diese Dutzende von Kochsendungen ansprechen will. Bislang hat keine Studie nachweisen können, dass der Kochshow-Boom zu mehr Selbstkochen geführt hat. Im Gegenteil: Der Markt für Convenience-Food und Lieferdienste für Gerichte wächst unaufhaltsam.
Da ich wie erwähnt offenbar zu jeder Tages- oder Nachtzeit dazu verdammt bin, mir primär eine Kochshow anzusehen wenn ich den Fernseher einschalte, bevor ich einen gescheiten (hm) Film gefunden habe, so muss ich gelegentlich auch etwas weniger Appetitliches oder meinem Geschmack Unzuträgliches mitanschauen und bin dann schon sehr froh, dass mein Fernseher nicht auch noch die Küchengerüche verströmt.
Wie gesagt, sind heutige Kochshows vor allem Eines: Palaver und Selbstinszenierungen narzisstischer Gastronomen respektive Mahlzeitenzubereiter. Sind Sie es auch leid, jedes Mal, wenn Sie hoffen via Television ein herrliches Rezept präsentiert zu bekommen, die Lebensgeschichte einer anderen Person zu hören? Dann kann ich Ihnen wärmstens die No-Bullshit-Küche empfehlen. In No-Bullshit-Küchen findet keine Selbstverherrlichung statt und man wird auch nicht pausenlos belabert. Überdies kochen No-Bullshit-Restaurants sogenannte Hausmannskost oder servieren was eine «gut bürgerliche Küche» zubereitet. Insbesondere finden sich auf der Speisekarte keine „upgespaceten“ Menus, von denen man nicht mal weiss was einem schliesslich vorgesetzt wird.
Kürzlich sagt mir da ein guter Bekannter: „Tja, weisst du mein Guter, die Gespräche beim Golfen drehen sich nicht mehr um politische oder merkantilistische Themen und Seilschaften. Heute tauschen wir Männer uns auf dem Golfplatz Kochrezepte aus.“ Na dann Mahlzeit und Birdie! Offenbar hat die Cocerokratie auch schon die Sportplätze fest im Griff.
Nun erfasst die Cocerokratie auch noch das Kino. Selbst die Filmindustrie wird von ihr nicht verschont. Unter dem Motto: „Kochen, die erotische Kunst“ suggerieren neue Filme, dass was am Herd zubereitet wird, ein Akt der Liebe sei. Eine gute halbe Stunde lang zeigt «La passion de Dodin Bouffant» des französischen Regisseurs Tran Anh Hung erst einmal nicht viel anderes als Menschen, die kochen und essen. Nicht auszumalen welche Sparten die Cocerokratie in Zukunft noch erobern wird.
Falls Sie tatsächlich zu denjenigen gehören sollten, denen das überbordende Angebot an TV-Kochshows nicht genügen sollte, so kann ich Sie damit trösten, dass es in der Tat auch reihenweise Online-Kochkurse gibt. Im Gegensatz zu den aufgezwungenen Kochsendungen im Fernsehen, sind diese freiwillig zu konsumieren. Aber wer weiss: Ebenso wie heute pausenlos unerwünschte Werbung auf zahlreichen von mir aufgerufenen Internetseiten erscheint, so werden wohl in Zukunft nach zwei Zeilen erfolgter Tabellenkalkulation oder 1078 Anschlägen in einer Textverarbeitung Online-Kochkurse auf Ihrem Bildschirm aufkreuzen.
Wer hätte das gedacht? Jetzt beliefert uns auch noch Netflix mit Kochshows.
„Mein Gott, jetzt kocht sie auch noch!“ lautete der kulinarische Aufreger der letzten Tage. Gemeint war Meghan Markle, Herzogin von Sussex, die auf Netflix Gastgeberin einer eigenen Kochshow geworden ist. „Kochen mit Meghan“ oder so wird letztere wohl heissen. Ob Harry die Rolle des Casseroliers zukommen wird ist noch nicht defiinitv entschieden.
Die grandiose Figur «Globi» hatte mich als Knirps mit verschiedenen Büchern in Geographie unterrichtet. Damals nur europaweit. Heute können Kinder mit Globi ferne Länder und Gebiete wie China, den Nationalpark, Rom, den Nordpol und noch vieles mehr kennenlernen. Wenn es in meiner Kindheit den Band „Kochen mit Globi“ oder das Buch «Kochen für Dummies» schon gegeben hätte und ich anstelle von Krimi und Sportsendungen endlich einmal einer der unzähligen Kochsendungen Folge leisten würde, so müsste ich heut nicht tagtäglich Raviolidosen öffnen, präparierte Salate mit Fertigsaucen, Würstchen in länglichen Semmeln mit Mayonnaise und Senf essen und Menus aus Kartonschachteln verspeisen.